Das Sommerloch machts möglich: die Ankündigung, dass Googles Street View nach jahrelangem Hickhack nun endlich auch hierzulande zur Verfügung stehen wird, erregt deutsche Gemüter wie kaum etwas anderes in diesen Tagen. Selten sah ich die Rede von der „German Angst“ so krass bestätigt wie beim Lesen der Kommentare zu den Streetview-Artikeln, die derzeit allüberall erscheinen. Da zeigt sich das sprichwörtliche „gesunde Volksempfinden“ auf eine Art, die mich gruseln lässt: böses Google zeigt meine Hausfassade der Welt – und macht womöglich auch noch Geld damit. Was für eine Sauerei!
Gibt es vernünftige Argumente gegen Streetview?
Noch vor 20 Jahren wäre ein „begehbarer Stadtplan“ als eine tolle, äußerst wünschenswerte Utopie erschienen: Wunderbar, dass man sich eine Gegend anschauen kann, bevor man hinfährt, dass man die Parkmöglichkeiten (und evtl. die Barrierefreiheit) checken und sich ein Bild von der Atmosphäre vieler Orte der Welt machen kann. Ungemein nützlich auch bei der Wohnungssuche: man spart sich Besichtigungen, wenn man bereits vom heimischen PC aus sehen kann, dass die Straße z.B. keine Bäume hat oder gegenüber ein belebter Supermarkt das Ruhebedürfnis stören würde.
Zwischenbemerkung: Während wir uns über einen begehbaren Stadtplan aufregen, wird das Internet in Stücke gehauen:
„Wie konntet Ihr Euch damals, 2010, so dermaßen austricksen lassen?“
Was sagen die Gegner? Da ist immer wieder die Rede von der Einbruchsgefahr. Ja Himmel, was soll ein Einbrecher mit Jahre alten Bildern? Der muss schon selber hingehen und die Umgebung auskundschaften – und kein Gesetzt hält ihn davon ab, das auch tun zu dürfen. Ansonsten finde ich einfach keine vernünftigen Gründe, sondern nur diffuse Ängste und Vorbehalte gegen den bloßen Fakt, dass das eigene Haus zu sehen sein wird, weltweit vom PC aus zu besichtigen. Doch was ist daran schlimm?
Der Hauseigentümer mit der verlotterten Fassade, der neue Mieter sucht, hat keinen Schaden, denn die Mieter in spe sehen sich das Haus auch heute erst an bevor sie mieten. In die Beurteilung der Kreditwürdigkeit einer Person fließen lange schon Adressdaten ein und es wurde auch schon berichtet, dass manche Adressen von bestimmten Versandhäusern nicht beliefert werden – alles ganz ohne Google Street View.
Und, bevor ich es vergesse: Warum ist Streetview jetzt der Stein des Anstoßes, wogegen sich bezüglich der Satellitenbilder aus Google Map und Earth kaum einer aufgeregt hat? Da kann man tatsächlich in alle Höfe und Gärten sehen und sieht sogar, wo eine Wassertonne steht!
Geld verdienen ist böse?
Immer wieder formuliert wird auch der Vorwurf, Google sei ein „profit-orientiertes Unternehmen“ und wolle mit der Street View Geld verdienen. Die Mehrheit der so Argumentierenden scheint Geld verdienen als etwas grundsätzlich Böses anzusehen. Ob sie wohl meinen, man solle das private Unternehmertum abschaffen und alles staatlich organisieren? Andere meinen, ihnen gebühre ein Anteil vom Profit, da ja mit den Bildern ihrer Häuser Geld gemacht werde. Na sicher, warum nicht? Man stelle sich vor, Google verteilt z.B. 50% der vielleicht irgendwann einmal Google Streetview zuzuordnenden Werbeeinahmen anteilig an alle Hauseigentümer. Wieviel bekäme da wohl jeder ab? (Zur Berechnung schaue man mal auf den Plan, der zeigt, wo es Streetview bereits gibt).
Kampf um den öffentlichen Raum
Die meisten Kommentierer, die sich gegen Streetview äußern, argumentieren überhaupt nicht sachlich. Da ist Google eben einfach die böse Datenkrake, der man das Handwerk legen muss. Dafür wären sie auch bereit, den öffentlichen Raum als frei nutzbare Ressource für alle zu opfern: sie rufen nach dem Gesetzgeber, der das Fotografieren von Privathäusern einfach verbieten soll. Leider sind es nicht nur verwirrte Einzelpersonen, die der Panoramafreiheit ein Ende setzen wollen: wie Jens Best in einem ZEIT-Interview berichtet, wollen sogar Gemeinden wie Weilheim in Oberbayern und Herne ihre öffentlichen Gebäude (!) aus der Streetview entfernen lassen. Es ist dann nicht mehr weit bis zum Verbot von Fotoapperaten auf Straßen und Plätzen: schließlich veröffentlichen viele ihre Bilder auf Facebook und anderswo und machen sie mittels Geo-Targeting sogar ORTBAR!!
Wollen wir Burkas für Fassaden? Offenbar würde sowas vielen gefallen! Im Kampf um Google Streetview zeigt sich ein deutscher Wesenszug, der alles andere als weltoffen und Neuem aufgeschlossen, sondern provinziell, überängstlich und neidisch ist. Und wenn es dafür auch keinen Button gibt: Nein, das gefällt mir nicht!
Mehr dazu:
- Digitaler Zettelkasten: Burka für Fassaden, kleinbürgerliche Street View-Ängste und selektiver Datenschutz
- Der deutsche verpixelte Michel (Lummaland);
- „Wir müssen den öffentlichen Raum im Netz verteidigen“ (ZEIT-Interview mit Jens Best, der ein Projekt zur fotografischen Erfassung in Streetview gelöschter Häuser startet);
- Jens Best: „Datennutzung im öffentlichen Raum beschützen“ (TELEMEDICUS);
- Google Street View: Die lächerliche Angst vorm bösen Blick (SPIEGEL Online, man beachte die Kommentare);
- Google startet Street View in Deutschland: Ein Grund zur Freude (TAZ);
- So wirbt Google ab morgen für Street View (CARTA);
- „Street View ist die Landkarte der Zukunft“ (Presseschau auf Meedia);
- Google, lass es einfach sein! (Netzwertig.com – Warum denn Perlen vor die Säue werfen?)
- Google Street View-Widerspruch-Widerspruch (Sascha Lobo bietet ein Formular an, mit dem man dem Widerspruch von Hauseigentümern oder Mitmietern widersprechen kann);
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53 Kommentare zu „Burka für Fassaden? Google Street View und die German Angst“.