Claudia Klinger am 29. September 2008 —

Die Riva-Blogkarte und das Outing im lokalen Raum

Wie Frank Westphal, der umtriebige Macher von Riva mitteilt, wird es die statische Blogkarte, auf der ca.  1300 Blogs anhand ihres Impressums lokal verdatet sind, so nicht mehr geben. Etliche Blogger fühlten sich nicht wohl damit, ihren Schaffensort auf der Karte bekannt gegeben zu sehen, was nun Frank dazu veranlasste, auf ein „Opt-In-Verfahren“ umzusteigen:  Nur noch diejenigen Blogs kommen auf die Karte, die „sich über ein bei ihnen im HTML-Header eingebundenes Geo-Tag explizit dazu bereit erklären, dass ihre Ortsdaten öffentlich und damit für ortsbezogene Dienste verwendbar sind.“

Soweit so gut. Ich habe mich sowieso gefragt, was denn der Sinn einer solchen „Geo-Verdatung“ sein soll: Man kann Blogs aus der Nachbarschaft entdecken, heißt es dazu immer wieder. Aber was habe ich davon, zu wissen, dass es eine Anna Kühne gibt, gerichtlich beeidigte Übersetzerin für Englisch, ebenfalls wohnhaft in Berlin, die auch bloggt? Ist die bloße Verwendung eines Blog-Scripts zur Veröffentlichung beliebiger Inhalte heute noch etwas, das Gemeinsamkeiten schafft, die es reizvoll erscheinen lassen, jemanden „von Angesicht“ kennen zu lernen?

Ein Blick zurück

Als das Internet noch jung war und es nur ein paar tausend Webseiten gab, war es wunderbar, andere „Homepager“ zu kontakten: Man war noch eine winzig kleine Szene, die echtes Neuland entdeckte, während „die Menschen da draußen“ noch gar nicht wussten, was für eine grundstürzende neue Welt sich da entwickelte. „Regierungen der Welt,  Ihr trägen Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes“, schrieb John Perry Barlow 1996 in aus heutiger Sicht ziemlich durchgeknallter Netz-Euphorie, doch traf er mit seiner „Unabhängigkeitserklärung“ den Nerv vieler Netizens der frühen Jahre. DABEI SEIN war alles, alle drei Monate erschien ein neuer Browser, der mehr konnte als der alte. HTML entwickelte sich in Windeseile und man hatte jede Menge gemeinsame Gesprächsthemen, ganz unabhängig von den Inhalten, die sich auf den frühen „Homepages“ fanden.

Aber heute?  Mit einem Berlin-Blog interessieren mich natürlich andere Berlin-Blogs, doch sind diese nicht gleich zu setzen mit „Blogs aus Berlin“: Ein Hamburg-Blog ist mir thematisch näher als Anna Kühnes „Gedankensprünge und Wortmeldungen“ ohne lokalen Bezug. Und von den Berlin-Blogs finde ich in dem nur schlecht einzeln anklickbaren „Knäuel“ der Blogtropfen auf der Riva-Map gerade mal das Hauptstadtblog – dabei gibt es schon allein in Friedrichshain wesentlich mehr.

Dass man auch das Webwriting-Magazin auf der Karte findet, hat mich andrerseits nie gestört: Ein Link mehr, über den potenzielle Leser kommen können. Die Adresse steht ja sowieso im Impressum. Mich interessiert allerdings, was für Gefühle, Ängste und Hoffnungen Menschen mit der zunehmend beliebten „Geo-Verdatung“ verbinden: war es nicht gerade das Schöne, per Internet eine neue, wenn auch nur partielle „Unabhängigkeit von Zeit und Raum“ zu gewinnen? Und war und ist es nicht ein Vorteil des Lebens in großen Städten, die Menschen im physischen Nahraum gerade NICHT kennen zu müssen?

Wie findet Ihr zum Beispiel die Aussicht, demnächst die Netz-Existenzen eurer Nachbarn im selben Mietshaus mitzubekommen?

Fragen über Fragen, denen ich hier in Zukunft weiter nachspüren werde.

Diskussion

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2 Kommentare zu „Die Riva-Blogkarte und das Outing im lokalen Raum“.

  1. Ja hast Recht, das wächst irgendwie wieder zusammen. Guter Gedankengang. Raus aus der Anonymität, aber irgendwie befürchte ich, dass die Entwicklung im Sande verläuft…

  2. Derzeit sieht es doch eher so aus, dass nach dem Blog-Boom der letzten zwei bis drei Jahre zunächst viel „Mist“ verschwinden wird, bis dann „eine Handvoll“ guter Publikationen übrig bleiben. Der User will ansprechende Inhalte, auch wenn sie von Privatpersonen kommen. Viele Blogbetreiber werden dann aufgeben, weil das Bloggen einfach Zeit kostet und, wenn es überhaupt nichts einbringt, auf Dauer wirklich nur für die ganz harte „Ego-Nerds“ attraktiv bleiben wird.