Claudia Klinger am 22. Februar 2010 —

Frühlingserwachen in der Blogosphäre?

Veränderungen werden allzu oft nur als Verschlechterungen wahrgenommen: so sehen viele einen Bedeutungsverlust der Blogs in Bezug auf die vermeintlich „zeitgemäßere“ Kommunikation in den sozialen Netzen. Ich erspare Euch jetzt eine Link-intensive Aufzählung deprimierender Beiträge dazu aus dem letzten Herbst und Winter, sondern freue mich über einen neuen Ton in der Debatte um den Sinn der Blogs.

Jammern und Klagen sind nämlich endlich und öden irgendwann nur noch an: es geht darum, Nägel mit Köpfen zu machen, zu sichten, was Sache ist und daraus auch Konsequenzen zu ziehen – jeder im eigenen Blog, sofern noch nicht geschehen.

Ja, Blogs verändern sich – und das ist GUT so!

In einer spannenden Analyse der aktuellen Lage schreibt DonDahlmann:

Die Blogs, die ich lese (keine Ahnung wie viele das sind, ca. 150 Feeds sind es wohl) posten seltener, aber wenn sie machen, dann sind es meist ganz hervorragende Texte. Blogs haben in gewisser Weise, wieder zu ihren Wurzeln zurückgefunden. Man schreibt nicht mehr alles auf, dafür gibt es Linkschleudern wie Twitter, aber wenn man schreibt, dann sind es längere Texte. Gleichzeitig ist die Kampagnen-Fähigkeit der deutschen Blogs durchaus noch vorhanden und die Politisierung der Szene der letzten zwei Jahre zeigt auch durchaus viele interessante Ansätze, auch wenn sie sich bisher noch einem sehr eingeschränktem Segment bewegt.

Rund um diese Diagnose kritisiert der Autor das meistverwendete Blogsystem WordPress, dass länger schon die Herausforderungen der Zeit verschlafe:

„Die schnelle Kommunikation per Blogs wirkt veraltet, quasi die BBS der 80er oder Foren der 90er Jahre. Weil die Technik still steht, weil WordPress sinnlose Dinge wie eine Bildbearbeitung ins System bastelt, statt sich um eine Integration verschiedener Dienste zu kümmern. Das macht Blogs zum einen langsam, zum anderen zwingt es die User, andere Vernetzungsformen zu suchen. „

Endlich sagt das mal einer! Allüberall probieren derzeit die Aktiven aus, wie die verschiedenen sozialen Netze sinnvoll zu nutzen sind, ohne dass man sich total zersplittert und jede Menge redundante Doppelmeldungen erzeugt. Kaum hat man Twitter, Facebook und diverse andere Dienste integriert, mischt GoogleBuzz das Ganze wieder auf: mit durchaus erwähnenswerten Vorteilen, so dass man es nicht einfach ignorieren mag. Aber eine Antwort, wie man seine Kommunikation bündeln und allgemein zugänglich machen kann, ist noch nicht wirklich gefunden – und WORDPRESS beteiligt sich offenbar gar nicht erst an der Suche (aber hallo: jeder kann mitarbeiten, heißt es doch…).

Andere INHALTE müssen her – oder eine andere Art, sie aufzubereiten?

Ein Thema muss offenbar erst vielfach neu auf den Tisch kommen, bevor sich tatsächlich mal was tut: Blogs sind ja nicht nur öd, wenn sie heute noch als bloße Linkschleudern agieren, sondern auch, wenn gefühlte zigtausende immer dieselben Blogosphären-Mainstream-Themen beackern: in kurzen Häppchen-Artikeln, die sagen, was alle meinen und die deshalb (Headline-SEO!) auch die meisten Zugriffe bekommen.

Das pressemäßige entlang schreiben am „aktuellen Geschehen“, möglichst schnell, dicht dran am neuen heiligen Gral der Echtzeit, ist aber doch verdammt nochmal nicht das Einzige, was man „im Internet“ machen kann! Jeder, der sich mal für ein bestimmtes konkretes Thema interessiert, kennt die Mühe der Google-Suche, die auf den ersten Ergebnisseiten oft genug nur SEO-optimierte MFA-Seiten (made for Adsense) ohne erwähnenswerte Inhalte zur Ansicht bringt. Früher fand man dagegen leicht sogenannte „Leuchtturm-Seiten“ zum Thema: mit Herzblut erstellte Webseiten, die mit großem Engagement für eine Sache einen guten Überblick gaben – dazu eine ganze Menge Orientierung für die Vertiefung des jeweiligen Gegenstands.

Zu diesen Wurzeln wirklich GUTEN und nützlichen Web-Publishings zurück zu finden, wäre eine tolle Sache – und so mancher denkt zur Zeit darüber nach, wie ANDERS das eigene Blog werden könnte/sollte/müsste, um diesem neuen alten Anspruch gerecht zu werden.

Ein Thema – aber das intensiv!

UPLOADs Zukunft: ein radikal neuer Ansatz – so titelt Jan Tißler in seinem UPLOAD-Magazin und konfrontiert die Leser mit einem wahrlich radikalen Plan:

uploadAnstatt zu versuchen, jede Woche zwei bis drei spannende Themen im Blog plus mehrere kurze News pro Tag, eine Podcast-Episode im Monat plus kleinere Sendungen zwischendurch und alle drei Monate ein PDF-Magazin zu haben, gehe ich einen radikal anderen Weg: Es gibt nur noch ein Thema – pro Monat. Vielleicht sogar noch seltener.
Ich stelle mir dabei vor, ein Thema von verschiedenen Seiten und auf ganz unterschiedliche Arten zu beleuchten. Nicht nur mithilfe von Texten kann das passieren, sondern außerdem in Form von Audio- und Videoinhalten, Slides oder Downloads – sofern sich das anbietet und umsetzen lässt. Natürlich werden hier auch wie bisher Gastautoren eine zentrale Rolle spielen.

Was für eine wunderbare Aussicht! Leider leisten das ja heute nicht mal mehr die sogenannten „traditionellen Medien“, obwohl ihr Anspruch auf „Qualitätsjournalismus“ genau damit Wirklichkeit würde. Zu Zeiten der Kopenhagen-Klimakonferenz hab‘ ich z.B. mal an DIE ZEIT gemailt, dass ich es mir wirklich wünschen würde, eine Schwerpunktseite zum Thema aus ihrem Verlag zu Gesicht zu bekommen, auf der man sich mal ganz voraussetzungslos schnell in die Debatte einlesen kann: so mit allen sachlichen Erläuterungen zur „herrschenden Lehre“ und Verweisen auf Mindermeinungen rund ums Klima und den Treibhauseffekt.
Die Redaktion hat sogar geantwortet – und zwar mit einem stolzen „haben wir doch!“ und einem Link auf die Klima-Seite der ZEIT.

Ok, das ist ja immerhin was, ist sogar sehr viel, um nicht zu sagen ZU VIEL AUF EINMAL. Relativ unstrukturiert wird da halt alles, was DIE ZEIT zum Thema gebracht hat, irgendwie verbündelt – man könnte Tage mit dem Nachlesen verbringen, wobei das Gezerre um die Klimapolitik den größten Anteil ausmacht. Für eine schnelle sachliche Orientierung (vom Groben ins Feine, von der Oberfläche in die Tiefe) nicht unbedingt geeignet – geschweige denn, dass da ein „Standpunkt der ZEIT“ zu erkennen wäre.
In der Print-Version der ZEIT traut man sich anders: da gab es mal ein ganzes Jahr lang jede Woche sehr kompirmiert „das Wesentliche“ zu einem Wissensgebiet – durchaus kritisierbar im Einzelnen, aber als „Startcontent“ fürs jeweilige Thema sehr brauchbar. Leider gibt es ONLINE nichts Vergleichbares – warum eigentlich nicht?

Deep Content: für engagierte Blogger gut machbar!

Blogs sind da im Vorteil: meist gibt es einen persönlich Verantwortlichen, der auch eine eigene Meinung und diverse echte eigene Interessen hat. Diese Interessen könnten in echte „Herzblut-Seiten“ einfließen, die einerseits den Überblick geben, zweitens die Meinung des Machers und evtl. einige wenige „andere Blickwinkel“ zeigen, dazu sinnvoll ausgewählte kommentierte (!) Links zu Medien, die das Thema weiter vertiefen.

Über die sozialen Netze würden solche Deep-Content-Seiten gewiss heftig empfohlen – und zwar immer wieder, wenn sich jemand für das Thema interessiert und darauf stößt, nicht bloß bei Erscheinen. Man bliebe verschont von nichtssagenden SEO-optimiertem Key-Word-Spamming, von dem Google so voll ist – und die kommerziellen Interessenten könnten sich durchaus selber entsprechend engagieren: als Sponsoren oder selber organisiert im Reich der eigenen Themen.

Ich bin gespannt auf UPLOADS erstes „Monatsthema“, und meine im übrigen, dass es nicht schadet, daneben noch eine Rubrik mit „Häppchen“ zu führen, damit sich auf der Seite etwas mehr tut und nicht nur immer diejenigen mitlesen, die aktuell am Monatshema interessiert sind.