Wie Web2.0 den Alten und Pflegebedürftigen aus der Isolation helfen könnte
Nicht alles sei immer nur schlecht in den Alten- und Pflegeheimen, sagt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in jeder Talkshow, die sie mit ihrer Anwesenheit beehrt. Und doch hören und lesen wir immer wieder Schreckensgeschichten von vernachlässigten alten Menschen, die in den Heimen mehr dahin vegetieren als leben. Entsprechend groß ist die Angst der Jüngeren, einmal gebrechlich oder gar pflegebedürftig zu werden. Man verdrängt den Gedanken ans Alter, betreibt Fitness & Anti-Aging in der Hoffnung, zumindest ein „aktiver Senior“ zu werden: selbständig, fröhlich herum reisend, unabhängig und immer noch am Ball. Eine schöne Illusion, die vielleicht sogar bis zum ersten Oberschenkelhalsbruch oder dem plötzlichen Hirnschlag hält – und dann?
Die Lage: Satt und sauber, aber einsam
Wer sich mal auf die derzeit zunehmenden Berichte aus real existierenden Pflegeheimen einlässt, wird feststellen: oft wird das Versprechen einer „satt und sauber-Pflege“ tatsächlich eingehalten und auch die vielen noch bewegungsfähigen Alten werden durchaus wohl versorgt. Was jedoch an allen Ecken und Enden fehlt, ist der menschliche Kontakt und die Möglichkeit, weiterhin ein soziales Leben zu führen: Das Personal hat keine Zeit zum Spazieren gehen, Besuche sind selten, manche bekommen gar keine, weil alle Freunde und Angehörigen schon weggestorben sind. Die Alten bleiben unter sich oder allein in ihrem Zimmer, sitzen den ganzen Tag vor dem Fernseher und verlieren nach und nach ihre geistige Wachheit und die Freude am Leben. Und wer keine Angehörigen hat, hat die schlechtesten Karten, denn dann merkt keiner, wenn man mal so richtig zum Opfer des „Pflegenotstands“ wird!
Idee: Jedem Altersheim seine virtuelle Community
In meinem Stadtteil kann ich praktisch alle Unternehmen, Läden und Projekte, Kneipen und sozialen Einrichtungen übers Web erreichen. Eigene Webpräsenzen der Altersheime finden sich dagegen nicht, höchstens mal Auflistungen der Adressen. Von teuren Seniorenresidenzen sind mir dagegen beim bundesweiten Surfen schon Prospekt-artige Werbe-Seiten begegnet: Wähle UNSERE Residenz, hier ist alles super! Weder erfahre ich, wer da lebt, noch kann ich eigenständig zu einem alten Menschen Kontakt aufnehmen, wenn ich Lust und Zeit dazu habe.
Das kann sich ändern, es ist jetzt technisch möglich und machbar! Man stelle sich vor:
- Es gibt zu jedem Altenheim eine Community-Seite, in der alle Bewohner repräsentiert sind und kontaktiert werden können;
- Ähnlich wie in einer Single-Community haben alle ein Profil, das sie als Person beschreibt, etwas aus ihrem Leben berichtet, je nachdem, was der einzelne wünscht;
- Derzeit boomt das Internet bei den Senioren, immer mehr netzkompetente Alte werden in Zukunft ihre Profile selbst betreuen und Kontakte pflegen können. Für diejenigen, die dazu nicht im Stande sind, könnte es die Projektbetreuung tun: Erhebung der Kontaktwünsche im persönlichen Gespräch, Abstimmung der Selbstdarstellung in der Com, Erläuterung der neuen Möglichkeiten: natürlich nicht Technik-, sondern Bedürfnis-zentriert.
- Sinn der Community wäre REALER KONTAKT im physischen Nahraum der jeweiligen Stadt bzw. Umgebung. Es gibt viele ältere, aber auch jüngere Menschen, die gerne Zeit mit einem alten Menschen verbringen würden, aber bisher keine „niedrigschwellige“ Möglichkeit finden, das jenseits irgendwelcher Wohlfahrtsverbände und sonstiger Vereine zu tun. Über eine Web-Communiy ist das leicht möglich.
- Wer Kontakt aufnehmen will, sollte in der Community des jeweiligen Altenheims Mitglied werden und dabei seine REALEN DATEN angeben, die von der Projektbetreuung auch verifiziert werden. Das gäbe eine Grundsicherheit, dass die Alten nicht von wirren Fakes belästigt werden, die nichts Gutes im Sinn haben. Diese Hürde sollte abgewählt werden können für Bewohner, die es nicht für nötig halten.
- Rund um das Kernfeature „Kontakte zwischen Freiwilligen und Alten ermöglichen“ kann die Altenheim-Com nach und nach alle Community-typsichen Features anbieten, natürlich auch die jeweilige Einrichtung zeigen, das Personal vorstellen, evtl. Veranstaltungen bekannt machen und vieles mehr. Aktive Alte könnten Foren besuchen, bloggen und aus ihrem Leben erzählen. Noch klingt das vielleicht utopisch, doch werden in Zukunft immer mehr netzkompetente Senioren diese Angebote nutzen können.
- Innerhalb jeweiligen Stadt können die Coms leicht bekannt gemacht und auf vielen sozialen Projekt-Seiten verlinkt werden, wie auch an die wachsenden lokalen Communities „andocken“.
- Über das jeweilige Alten- bzw. Pflegeheim hinaus könnten alte Menschen Mitglied werden, die im Einzugsgebiet des Altenheims zuhause gepflegt werden, sei es durch Angehörige oder durch ambulante Dienste.
Geht nicht, weil… ?
Oh doch, das ist machbar, wenn es engagierte Leute in die Hand nehmen und erst mal ein paar Modellprojekte anleiern. Wenn man dafür Einrichtungen findet, die der Sache aufgeschlossen gegenüber stehen, wird man auch Freiwillige finden, die den Bewohnern das Projekt vorstellen und die aufwändige „Aufnahme“ der Profile durchführen. Später gibt es vielleicht auch institutionelle Unterstützung, etwa durch den Einsatz von ALG2-Empfängern, die gerne eine solche Arbeit mit Menschen machen anstatt z.B. die Grünanlagen zu pflegen. Und natürlich kann man SPONSOREN suchen, ich denke da an Unternehmen, die ihr Geschäft sowieso mit alten Menschen machen.
Lange schon schwirrt dieses Projekt in meinem Kopf herum, das ganz gewiss noch vielfältig zu konkretisieren und zu variieren ist. Ich möchte nicht länger darauf warten, selbst mal die Zeit zu finden, es anzuschieben. Engagierte Altenpfleger mit Netz-Knowhow sind da viel näher dran, aber auch andere, die noch Ideen suchen, um das Web2.0 auch im sozialen Sektor zu einem Renner zu machen.
Hilf mit!
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(Sollte es schon irgendwo Ansätze in diese Richtung geben, freue ich mich über Infos darüber in den Kommentaren!)
Den Artikel Altersheim 2.0 gibt es als reinen Text ohne alles Drumrum im PDF-Format: zum Ausdrucken, mitnehmen und weiter reichen.
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27 Kommentare zu „Altersheim 2.0 – Idee und Konzept“.