Wem ist es nicht schon mal so gegangen: man sucht etwas, landet auf einem viel versprechenden Artikel zum Thema, freut sich über die Fundsache mit wichtigen Neuigkeiten zum Thema und bemerkt erst ganz am Ende: Die Datei ist ja schon drei Jahre alt! Das Lesen war reine Verschwendung von Lebenszeit, denn die Details sind Schnee von gestern, die öffentliche Diskussion ist lange schon weiter gegangen – ärgerlich! Noch ärgerlicher, wenn Artikel gar kein Datum tragen oder das aktuelle Datum automatisch überall eingeblendet wird.
Sehr viel brisanter als dieser alltägliche, im Grunde bloß nervende Umgang mit veralteten Daten sind die Spuren, die viele Menschen im Web hinterlassen, ohne sich darüber klar zu sein, dass das Netz nichts vergisst. Bereitwillig veröffentlichen User persönliche Daten, zeigen ihre Vorlieben und Hobbies in Web 2.0-Communities, laden Bilder vom letzten Urlaub und von feuchtfröhlichen Festen hoch – und sind dann entsetzt, wenn Jahre später Personalchefs, Kollegen, Auftraggeber und andere Interessierte (zuvorderst die Werbewirtschaft) diese Daten in ihrem Sinne nutzen.
Good bye Privacy?
Das Motto der diesjährigen ARS ELECTRONICA in Linz bringt es auf den Punkt: Privatsphäre erscheint heute als ein Begriff von vorgestern, längst überholt von der Kraft des Faktischen, vom Bedürfnis der vielen, sich zu zeigen bis in die intimsten Details. Immerhin gibt es noch Kritiker, die sich grundstürzende Gedanken zur Lage machen. Viktor Mayer-Schönberger von der US-Iniversität Harvard fordert ein Verfallsdatum für Daten im Internet und sieht unsere Gesellschaft bedroht: Das Internet als ewiges, allumfassendes Gedächtnis sei ein Problem, das weit über die Aspekte Datenschutz und Privatsphäre hinaus gehe, denn der Mensch sei seit Urzeiten darauf programmiert, das meiste zu vergessen. Die Tendenz, zu vergessen, was länger zurück liegt, bedeute eine lebenswichtige Selektion von Informationen: Aktuelle Erlebnisse wirken wichtiger, Vergangenes unwichtiger – doch im Internet steht alles gleich berechtigt nebeneinander, für jeden zugänglich auf immer und ewig. Diese Flut von zeitlosen Informationen könne der Mensch nicht mehr richtig verarbeiten, der ja eigentlich „auf Vergessen programmiert“ sei (Quelle: Tagesspiegel)
Vergessen wäre ein Segen
Das von Mayer-Schönberger geforderte Verfallsdatum für Daten wäre eine Lösung, die das menschliche Vergessen in die Datensphäre implementiert. Wer Daten einstellt, müsste es benennen und könnte bei Bedarf die Lebenszeit der Daten verlängern. So müssten wir uns alle damit befassen, was über die Zeit wirklich wichtig und erhaltenswert ist und was nicht – eine gute Idee, aber wer, frage ich mich, soll das durchsetzen??? Bisher funktioniert ja nicht einmal die von Google angebotene Auswahl neuerer Artikel – und wer wäre so mächtig, der wachsenden Datenkrake das Vergessen beibringen?
Es bleibt uns vorläufig nur die Wahl, auf wachsende Medienkompetenz zu setzen:
- Stelle nichts ins Internet, zu dem du nicht in zwanzig Jahren noch stehen kannst!
- Auch wenn du in deiner Community vermeintlich „unter Freunden“ bist, sei dir bewusst: es lesen nicht nur Freunde mit!
- Lösch mal wieder, was nicht mehr aktuell ist. Kündige Mitgliedschaften, die du nicht mehr benutzt – zwar wird das deine Daten nicht restlos aus dem Netz entfernen, doch immerhin ein wenig eindämmen.
Wer nun meint, er habe nichts zu verbergen und tue ja nichts Ungesetzliches, möge bedenken: Was heute erlaubt ist, kann morgen schon verboten sein!
Mehr dazu:
Interwiew der Süddeutschen Zeitung mit Mayer-Schönberg
Wieder einer weniger – ein Blogger wirft das Handtuch
Tags der offenen Tür – Privatsphäre in Communities
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4 Kommentare zu „Google vergisst nichts – muss das so bleiben?“.