Antje Schrupp setzt sich in Ihrem Blog „Aus Liebe zur Freiheit“ mit der in der Presse gern kolportierten Figur des „Nerds“ als neuen Typus Mann auseinander:
Bei der Diskussion über die Nerds geht es um einen Konflikt zwischen Männern. Verhandelt wird daran ein sich veränderndes Männerbild. Der visionäre, polternde, machtbewusste, charismatische Macher-Mann, der seit einigen Jahrzehnten das männliche Role-Model war (nicht zufällig denke ich hier an Frank Schirrmacher) wittert Konkurrenz durch eine neue Sorte Mann, der er der Einfachheit halber den Namen „Nerd“ gibt.
Angeregt zu ihrem Posting wurde Antje durch einen Artikel in der neuen Brandeins (leider nicht online), in dem der Nerd offenbar ein wenig glorifiziert wird: nicht mehr als pickliger Autist, der mit Cola und Pizza vor dem Bildschirm klebt, sondern als neues Objekt weiblicher Begierde. Ist dem wirklich so?
Das kann ich als einzelne Frau nicht wirklich beurteilen, doch erscheint es mir interessant, dass Brandeins ausgerechnet JETZT den „Nerd“ als Typus glorifiziert – nämlich zu einer Zeit, da er länger schon an Bedeutung VERLIERT. Ich kenne den Nerd vornehmlich als eine Gestalt der 80ger und 90ger-Jahre, als Computer noch ziemlich viel IT-KnowHow benötigten, um damit rundum gut zurecht zu kommen. Da hatte man Glück, einen ordentlichen Nerd zu kennen, der immer mal vorbei kam und den PC wieder auffittete, das alte DOS aufrufend und kryptische Befehle in Kommando-Zeilen schwarzer Bildschirme tippend.
Auch ein Nerd kocht nur mit Wasser
Da ich Anfang der 90ger eine tiefer schürfende Weiterbildung zur EDV-Fachkraft hinter mir hatte, nahm ich gerne teil an solchen mehrstündigen Fehler-Such-Sitzungen, und stellte alsbald fest, dass auch der kundigste Nerd nicht wirklich WUSSTE, woran es denn nun gelegen hat. Dass all sein Tun Trial&Error und oft genug Workaround und Neuinstallation ist – kein Wunder angesichts der Komplexität der Software, aber doch ein Dämpfer für meine ursprüngliche Begeisterung für „Nerds“.
Schon das Web der 90ger wurde dann nicht etwa von Nerds mit Inhalten gefüllt – die schauten eher verachtungsvoll auf die Einfachheit von HTML herab, das keine großen Vorkenntnisse erforderte, um Webseiten zu bauen und online zu gehen. Es dauerte Jahre, bis die Nerds aus ihrem Programmierer-Schlaf erwachten und sich bequemten, mittels Javascript, Java und später PHP dem Web zu mehr interaktivem Charme zu verhelfen.
Man sieht: ich verstehe den Nerd wesentlich als „Programmierer“ bzw. Software-Entwickler, sowie als kundigen PC-Service, dessen Dienste mit zunehmender Stabilität der Betriebssysteme immer weniger gebraucht werden.
Mit dem Aufkommen der Blogs und dem Web2.0 erlitten die „neuen Nerds“, nämlich die Webwerker der ersten Jahre (Hand-Coderinnen und Coder) ein ähnliches Schicksal wie die „Ur-Nerds“: ohne viel Knowhow konnte nun jeder an der mittlerweile ebenfalls für Autodidakten zu komplex gewordenen HTML-Welt vorbei veröffentlichen. Vielleicht liegts an meinem vorgerückten Alter, doch erscheint mir der Titel „Nerd“ für jemanden, der sich im Netz gut auskennt, der bloggt, twittert und facebookt, sowie stets sein Netbook und/oder Smarthandy mit sich führt, nicht mehr wirklich angemessen. (Wer sich hier profilieren will, nennt sich dann ja auch eher Social-Media-Berater oder „SEO-Experte“).
Der Reiz männlicher Unabhängigkeit
Und erotisch gesehen? Ich glaube, das Faszinierende an Nerds und allen ähnlichen Folge-Figuren ist deren äußerst ernsthaftes Eintauchen in ein Fachgebiet und die dort gewonnene Kompetenz – umso mehr, je wichtiger der Bereich für uns alle ist. Es gehört zum Reiz des Männlichen, dass sie etwas haben, das ihnen mehr bedeutet als Beziehung: in dem sie versinken können und alles andere darüber vergessen. Vielleicht deshalb, weil das Frauen anregt, ihre Reize spielen zu lassen, um ihn aus dieser Versunkenheit doch noch heraus zu locken – der kleine Geschlechtersieg sozusagen, der jedoch das Objekt der Begierde entwertet, sobald er ein totaler ist.
Darüber hinaus sehe ich den „Nerd“ nicht als von anderen „Männern mit Profession“ grundsätzlich unterschieden an. Besonders erotisch ist die mit der Selbstvergessenheit im IT-Flow gelegentlich einher gehende soziale Verwahrlosung jedenfalls nicht, doch wer weiß, vielleicht gelingt es ja gerade, das Pickel-Pasta-Pizza-Image in ein neues Helden-Image zu verwandeln.
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Ein Kommentar zu „Ist der Nerd der neue Mann?“.