Nessy schreibt heute in ihrem Blog „Draußen nur Kännchen“ über ihre Zweifel beim Bloggen:
„Es gibt diese Tage, an denen ich darüber nachdenke, wie das mit dem Bloggen ist, warum ich das mache und ob ich es so weitermachen soll. Ob ich es überhaupt weitermachen soll oder ob es ich es anders weitermachen soll. Zum Beispiel, indem ich unter meinem Realnamen blogge und nicht mehr über Echtledersofas und Oberinspektoren schreibe, sondern über etwas, das die Welt revolutioniert oder wenigstens einen Zweck erfüllt. Denn, ach, so lautet ja der allgemeine Tenor, die deutsche Blogosphäre sei so voll von Belanglosem. Stöckchen und Katzencontent allerorten. Ein bisschen was ist dran an der Kritik, denn – mal an die eigene Nase gefasst – auch in meinem Kännchenblog gibt es nichts Anderes als konturlose Geschichten aus einem Leben, das jedes Leben sein könnte.“
Mich hat dieser Eintrag berührt und inspiriert – um so mehr, da Nessys Art, sich ins Web zu schreiben, mir weit mehr gefällt als vieles, was ich sonst so lese, bzw. nicht lese, sondern gleich weiter klicke. Natürlich hat jeder Leser in der Blogosphäre seine eigenen „Klick&weg-Kriterien“, mit der folgenden ganz persönlichen Liste erhebe ich also beileibe keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit:
- Info-Häppchen: Blogger A verweist mit einem Zweizeiler auf Blogger B oder auf die Meldung eines Großmediums. Kein eigener Inhalt ziert das Posting. In Fach-Blogs zum jeweiligen Thema, deren Leserschaft sich für sämtliche News aus dem Sektor interessiert, ist das in Ordnung, ansonsten erlebe ich es wie eine Art Web-SPAM. Tritt leider auch so massenhaft auf wie richtiger SPAM. (Wer aber KULT ist, bzw. genau damit geworden ist, darf das – ist aber nicht 10.000fach kopierbar!)
- Katzen-Content: Postings zu Ereignissen aus dem Alltag, die über den bloßen Bericht nicht hinaus kommen und den Mangel an Bedeutung auch nicht durch literarische Mittel ausbügeln. „Meine Katze heute zum Arzt gebracht, der hat die Wunde gesäubert und gesagt, ich müsse mir keine Sorgen machen!“ Da ich weder Schreiberin noch Katze persönlich kenne, bringt mich sowas nur zum Gähnen. (Natürlich ist das ok, wenn man nur für Freunde und Bekannte schreibt, ich bin da halt als Leserin falsch).
- Aggressive Postings: Nur dafür da, anderen ans Bein zu pinkeln und damit Aufmerksamkeit zu ergattern. Meist Ausdrucksform jugendlicher männlicher Wesen, die auf diese Art ihre „Rangkämpfe“ untereinander austragen. Einer fängt an, hundert andere kolportieren das Ereignis und setzen noch eins drauf. Schließlich kippt die Welle und Kritiker haben freie Bahn, sich ihrerseits mit der ebenso aggressiv vorgetragenen Gegenmeinung zu profilieren. (Immerhin besser, als wenn sie in einen nicht-virtuellen Krieg ziehen würden!)
- Brandreden: Beiträge, die irgendwelche Zustände anprangern, dabei aber über das Schimpfen und Frust ablassen nicht hinaus kommen. Für die Autoren mag das ja ein Ventil sein, aufgestaute Emotionen raus zu lassen, doch habe ich als Leserin keine Lust, mich in diesen Sumpf negativer Wallungen hinein ziehen zu lassen.
So verschieden diese Veröffentlichungen auch sind, so haben sie doch etwas gemeinsam: Die Autoren und Autorinnen schreiben nichts über sich, sondern halten sich bedeckt und beschränken sich auf „Meinung“ und „Ereignis“. Damit liegen sie im Grunde auf einer Linie mit traditionellen Großmedien, von denen sie sich nur dadurch unterscheiden, dass die Bedeutung der Ereignisse für die Allgemeinheit gegen Null geht (Katzencontent, Info-Häppchen) und die Meinung oft emotional bis hin zur Beleidigung vorgetragen wird (Aggressives, Brandreden).
Von sich schreiben
Wahre Perlen unter den Blogs und Homepages sind für mich solche, deren Autoren und Autorinnen es wagen, sich persönlich zu zeigen – und zwar nicht nur die schicke Oberfläche, sondern alles, was da ist (bzw. einen ehrlichen Ausschnitt davon). Das umfasst die eigenen Fragen und Unsicherheiten, die Art, wie wir „uns selbst“ erleben und was wir darüber denken: Gefühle, Gedanken, Taten, Ereignisse und Folgen.
So etwas lese ich gerne und mit Gewinn, denn beim Lesen identifiziere ich mich automatisch mit dem Schreibenden und suche die Erfahrung, die er beschreibt, in mir selber auf. So wird das Lesen des Postings eines wildfremden Menschen zu einem Stück Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis – genau wie für die Schreibenden, die ihren „inneren Monolog“ mit den Lesenden teilen.
Der innere Zensor – Anonymität
Wer es unternimmt, so zu schreiben, trifft schon bald auf den inneren Zensor: das, was mich wirklich bewegt, hat ja oft mit nahe stehenden Menschen zu tun, mit Vorkommnissen aus dem beruflichen Alltag, mit Verwandten und Bekannten. Was würde passieren, wenn diese Menschen Postings entdecken, in denen sie vorkommen?? Die Schere im Kopf will sofort alles wegschneiden, was irgendwo Anstoß erregen könnte – doch genau diese Erfahrung der Selbstzensur ist sehr lehrreich, noch ganz ohne dass man wirklich etwas „Brisantes“ veröffentlicht.
Viele versuchen, das Problem zu umschiffen, indem sie anonym bloggen. So macht es auch Nessy, doch fühlt sie sich in der Anonymität nicht wirklich sicher:
„Aber die Welt ist kleiner, als sie allgemein erscheint, die Anzahl derer, die Blogs lesen, erst recht. Das zu unterschätzen, wäre wahrscheinlich einer der größten Fehler eines öffentlichen Schreibhansels. Ich selbst erkenne schließlich auch den ein oder anderen; sofort, mit ein bisschen Kombinationsgabe oder nach unbedacht preisgegebenen Informationen offenbaren sich plötzlich Identitäten. Wenn man auch nur ab und an oder auch öfters mit Menschen zu tun hat, die unter Garantie regelmäßig Blogs lesen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann jemanden gibt, bei dem der Zufall zuschlägt und gleichzeitig ein Groschen fällt. Am Ende stehe ich dann da, nackt, und der Entdecker beginnt, 21 Monate Kännchencafé nach etwas zu durchforsten, das sein Bild über mich schärfen könnte – in einem Blog, geschrieben von einer „Nessy“, in deren Hemd ich mich allmählich nicht mehr wohl fühle.“
Nessy denkt nun darüber nach, aufzuhören oder unter ihrem Klarnamen zu bloggen. Im letzteren Fall würde sie nicht mehr über ihren Alltag schreiben, sondern „über etwas, das die Welt revolutioniert oder wenigstens einen Zweck erfüllt.“
Die wahren Revolutionen finden im Inneren der Menschen statt, und ganz gewiss erfüllt ein sich zeigendes Schreiben unter eigenem Namen einen Zweck – gerade auch dann, wenn es im Einzelfall „unmöglich“ erscheint. Nämlich den, dass einem selbst ganz klar wird, warum man diese oder jene Begebenheit NICHT berichten will, sobald die „Gefahr“ besteht, dass Beteiligte die Veröffentlichung mitlesen oder irgendwelche Fremden sich ein unerwünschtes Bild von der eigenen Person machen.
Nicht schreiben schafft Veränderungsdruck
Wer ein Blog unter eigenem Namen führt, wird also aus nachvollziehbaren Gründen öfter mal nicht das schreiben, was gerade die Seele bewegt. Eindrücke kommen dann nicht auf die gewohnte Weise zum (öffentlichen) Ausdruck, sondern werden zurück gestaut, was ein Gefühl der Unzufriedenheit und Unvollständigkeit mit sich bringt. Innerlich setzt man sich ja weiter damit auseinander und fühlt eine wachsende Sehnsucht, das eigene Leben so zu verändern, dass es kein Problem mehr wäre, auch das zensierte Thema zu berichten – oder sogar so, dass es da in dieser Art gar nichts mehr zu berichten gäbe! Wäre DAS nicht wahrhaft revolutionär?
Selbstreflexives Schreiben ist gelebte Selbsterfahrung, motiviert zu ständiger engagierter Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensweise und den Rahmenbedingungen, die man sich schafft. Im Lauf der Zeit wird man sein Leben zunehmend so gestalten, dass man über immer mehr Aspekte auch offen schreiben kann. Die Freude am Schreiben als Selbstausdruck wird so zum Mittel, um zu einer integren Person heran zu wachsen: rundum authentisch, sich selbst und andere achtend und respektierend, und ganz ohne die ständige Angst, hier oder da einen falschen Eindruck zu machen.
Ich schließe mit einem Zitat von Lama Anagarika Govinda, einem westlichen Buddhisten, dessen Worte das Thema auf den Punkt bringen:
“Der vollkommenste individuelle Selbstausdruck ist die objektivste Beschreibung der Welt. Der größte Künstler ist derjenige, der auszudrücken vermag, was von jedem Menschen empfunden wird. Und wie bringt er dies zustande? Dadurch, daß er SUBJEKTIVER ist als andere. Je getreuer er sich SELBST zum Ausdruck bringt, desto näher kommt er den anderen, denn unsere wahre Natur ist nicht unser eingebildetes beschränktes “Ich”. Unsere wahre Natur ist so weit und allumfassend und zugleich so unfaßbar wie der Weltenraum. Sie ist sunyata – Leere – im tiefsten Sinn.”
Mehr zum Thema:
„Von sich schreiben – Webdiarys und mehr“ (im ALTEN Webwriting-Magazin)
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13 Kommentare zu „Jenseits von Katzen-Content und Info-Häppchen“.