Claudia Klinger am 20. August 2010 —

Streetview: Was werden Gerichte in Sachen verpixelter Häuser demnächst verhandeln?

Was viele begrüßen, wirft eine Reihe rechtlicher Fragen auf, die schon bald die Gerichte beschäftigen könnten. Denn dass der bisher öffentliche Raum mit seiner Panoramafreiheit in der neuen digitalen Variante nun dem Belieben der Anwohner und Hauseigentümer unterstellt wird, dient mitnichten einer Befriedung: Es braucht nur wenig Fantasie, um sich künftige Konflikte auszumalen, die den hierzulande sowieso besonders gern ausufernden Nachbarschaftsstreitigkeiten eine neue Dimension geben könnten.

Im Moment tobt der mediale Kampf noch um die grundsätzliche Frage: Streetview ja oder nein, bin ich dafür oder dagegen. Wenn der Dienst allerdings mal eingeführt ist und – wie wohl kaum jemand bezweifeln wird – auch umfänglich genutz wird, kann das anders aussehen. Denn Einigkeit unter den Anwohnern, Eigentümern, Hausverwaltungen und Gewerbe-Mietern wird eher die Ausnahme sein als die Regel.

Was passiert bei sich widersprechenden Wünschen und Einsprüchen?

Es ist ja nicht bloßer Gag, was Sascha Lobo als Formular für den „Widerspruch gegen den Widerspruch“ ins Netz gestellt hat. Zum Fall der Uneinigkeit gab es in der letzten Woche die widersprüchlichsten Aussagen. So berichtete die TAZ, die Mieter müssten sich laut einer Google-Mitarbeiterin „selbst abstimmen“. Also erstmal eine Hausversammlung? Und was, wenn die auch keine Einigkeit bringt?

Als nächstes geisterten Vermutungen herum, es würden lediglich die Etagen derjenigen verpixelt, die widersprochen haben – eine ulkige Vorstellung, so ein „löcheriges“ Haus! Mittlerweile hat Google mehrfach klar gestellt: wenn in einem Mehrfamilienhaus auch nur ein Mieter Einspruch erhebt, bricht die Verpixelung über alle herein – egal, ob die das wollen oder nicht (Ausnahme: Gewerbe im Erdgeschoss). Die Löschung bzw. Verpixelung ist zudem unwiderruflich, da sie auch in den Rohdaten vorgenommen werden muss, wozu sich Google gegenüber den Datenschützern verpflichtet hat.

Sie haben unser Haus verpixelt!!!

Mal ein paar Beispiele für kommende Konflikte:

  1. Als ich auf Panoramio kürzlich meine Adresse eingab, fand ich, dass „mein“ Mietshaus bereits online war: eingestellt von der Hausverwaltung – demnächst vermutlich über einen Link verbunden mit Streetview. Es lässt sich eben leichter vermieten, wenn Interessenten das Haus auch gut auf den „üblichen Diensten“ im Web finden. Was aber, wenn ich nun widerspreche und mein Haus verpixeln lasse? Würde das nicht die vom Eigentümer beauftragte Hausverwaltung in ihren Rechten beeinträchtigen?
  2. Oder: Ein Mieter hat einen wunderschönen Balkon und mit dessen Gestaltung sogar einen Wettbewerb gewonnen. Er ist stolz darauf und sehr erfreut, dass nun alle Welt das Werk bewundern können soll. Doch Pech für ihn: der Nachbar X hat die View verpixeln lassen – weg ist der Balkon mitsamt dem ganzen Haus! Und da sich der Nachbar auch noch öffentlich mit seinem Einspruch brüstet, weiß der Balkon-Freund, gegen wen er klagen muss.
  3. Google hat versichert, die Daten der Widersprecher sorgfältig zu verwahren. Das aber ist nur eine Selbstverpflichtung, die nicht abschließend klären kann, ob nicht zum Beispiel der Hauseigentümer ein Auskunftsrecht hat, wenn er „berechtigte Interessen“ am Verbleib des Hauses in Streetview vorbringt. Oder – wenn die Rohdaten bereits gelöscht sind – evtl. gar einen Schadensersatzanspruch wegen Erschwerung von Verkauf und Vermietung?
  4. In Zweifamilienhäusern (die es auf dem Land haufenweise gibt) ist ziemlich schnell klar, WER den Widerspruch eingelegt hat. Hier hilft Googles Geheimhaltung der Widersprecher gar nichts: der Hausfrieden wird gestört sein und nach aller Erfahrung werden sich auch Gerichte damit zu befassen haben.
  5. Weiter: wie GERECHT ist es eigentlich, dass ein Einzelner eine Entscheidung treffen kann, die womöglich hunderte weiterer Mitmieter UND den Eigentümer betrifft und bindet? Evtl. zieht der Streetview-Gegner nächstes Jahr aus – und alle müssen dann für alle Zeiten mit einem verpixelten Haus leben.

FAZIT: Es ist unbefriedigend, dass all diese Fragen rund um Streetview ohne rechtliche Grundlagen entlang am jeweiligen Erregungslevel der öffentlichen Debatte durch bloße „unbürokratische Regelungen“ seitens Google beschieden werden. Und es sollten keine „vollendeten Tatsachen“ durch Löschung der Rohdaten geschaffen werden, wenn nicht klar ist, ob es überhaupt rechtens ist, dass eine Einzelperson für eine ganze Hausgemeinschft die Unkenntlichmachung erreichen kann – ohne die Nachbarn auch nur zu fragen!

Ginge es um privaten Raum, wäre dieser einem klaren Berechtigten zuzuweisen und die Frage würde sich nicht stellen. Da hier aber ein bisher öffentlicher Raum im Zuge der Digitalisierung quasi privatisiert wird, ist es äußerst problematisch, hier die Dinge übers Knie zu brechen und schnelle, nicht rückholbare Lösungen durchzuziehen.

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Siehe auch:

Es gibt kein analoges Leben im Digitalen (CARTA);

Öffentlicher Raum im Internet (Themenriff);

Von der Notwendigkeit eines neuen Begriffs von Öffentlichkeit (HIER);

Diskussion

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4 Kommentare zu „Streetview: Was werden Gerichte in Sachen verpixelter Häuser demnächst verhandeln?“.

  1. Die Frage nach dem gerichtlichen Prozess ist zweitrangig, denn laut Google ist eine Hausburka unumkehrbar. Man könnte also höchstens über Schadensersatz oder „Strafmaß“ verhandeln.
    Im übrigen ist die Privatsphäre in Sachen StreetView ein (da Gesetzgeber noch am Pennen) von Google eingeräumtes Schutzrecht, also ist es gut und richtig, dass einer allein „Schulz jetzt“ sagen kann.

  2. Streetview ist eine tolle Sache – sogar diejenigen, die ihr Haus verpixeln lassen werden sicher zu einem Großteil die Häuser anderer betrachten.
    Meiner Meinung nach sollte hier das Allgemeinwohl – wie andernorts auch – über das Recht des einzelnen gestellt werden. Vor allem and´gesichts der Tatsache, dass die Streetview-Gegner zwar unglaublich laut schreien, aber doch recht wenige sind – in einer demokratischen Abstimmung würden sie sang- und klanglos untergehen.

  3. Es ist schon befremdlich still geworden um Wikileaks und Julian Assange. Könnte natürlich auch sein, dass da im Hintergrund einge Deals abgelaufen sind. Geld, Straffreiheit bei der Vergewaltigungsgeschichte, einen gewissen Status, wie ihn nur Staaten verleihen können, wer weiss? Immerhin fällt auf, dass nach dem anfänglichen weltweiten Hype, der seinesgleichen suchte, inzwischen gegen Null tendiert. Grüße aus Berlin

  4. Ich finde die Hysterie total übertrieben. Was soll das? Wenn ich an einem Haus vorbeigehe, dann sehe ich es auch. Und wenn ich ein Foto mache, kann mich auch niemand aufhalten.
    Im Gegenteil. Ich hab schon viel über Schnappschüsse bei Streetview und Maps gelacht. Schaut mal unter http://www.terrazoom.de – Leute gibt`s, die gibt`s gar nicht ;-)

    Das ist genial!
    http://www.terrazoom.de/index.php/de/rund-um-streetview/126-streetview-fahrzeug-faehrt-beim-autorennen-mit