Claudia Klinger am 09. Dezember 2013 —

Thema AMAZON bei #Jauch: Verkümmerung der zwischenmenschlichen Kultur?

Die „Maschine Amazon“ stand gestern bei Jauch im Zentrum der Kritik. So ungefähr alles, was man über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, verantwortungslose Online-Shopper, böse Monopolisten, gestresste Lieferdienste und die digitale FALLE, in der wir uns laut Ranga Jogehswar befinden, gesagt werden kann, kam zur Sprache.

Ja, Amazon wurde sogar die „Verkümmerung der zwischenmenschlichen Kultur“ vorgeworfen, weil durch das bequeme Bestellen und nachhause liefern der nette Plausch mit der Verkäuferin im Laden verloren gehe – oh weh!

Thema AMAZON bei Jauch

Als Diskutanten geladen waren Günther Wallraff (war undercover im Lieferdienst), Gerrit Heineman (Wirtschaftswissenschaftler), Patrick Palombo (Unternehmensberater für Internetfirmen) und Laura Karasek (bekennende Online-Shopperin), sowie als „Alleswisser“ und Moralist der schon erwähnte Ranga Yogeshwar.

Arbeiten bei Amazon: kein Stundenlohn unter 10 Euro

Es ist gut und richtig, in der Vorweihnachtszeit dieses Thema zu verhandeln und so die Situation der Mitarbeiter, der Lieferanten und die Auswirkungen auf die Umwelt ins Bewusstsein zu heben. Es ist auch eine Unterstützung der streikwilligen Arbeitnehmer, die in diesen Tagen für mehr Lohn streiken – vertreten und unterstützt von Ver.di. In dieser Auseinandersetzung geht es allerdings nicht gegen die „Maschine Amazon“ und deren auf Effektivität und Überwachung setzendes System – all das ist im Versandhandel und großen Verteilungslagern branchentypisch, wie man bei Jauch erfahren konnte. Es geht vornehmlich um die Einstufung nach Versandtarif anstatt Logistik – um 1,50 Euro mehr also, wenn ich richtig erinnere.

Wobei schon jetzt kein Mitarbeiter unter 10 Euro/Stunde verdient, Amazon braucht den Mindestlohn nicht zu fürchten. Es gibt Betriebsräte, die als Kurzzeit-Gäste bei Jauch aus der Praxis berichteten, dass es bei Amazon eine Lernkurve in Sachen deutsches Arbeitsrecht gäbe und tatsächlich vieles schon besser geworden sei.

Unternehmensberater Palombo verwies mehrfach darauf, dass „chaotische Lagerhaltung“ und bis auf den letzten Handgriff optimierte Arbeitsplätze nichts Neues, sondern seit Jahrzehnten in der Branche gang und gäbe seien. Jogeshwar wirkte mit seinem nostalgischen Sehnen nach der Scheibe Wurst für’s Kind, die es beim Metzger noch gäbe (ich bezweifle das!) da schon ziemlich betulich, wie selbst die Frankfurter Rundschau in ihrer ausführlichen TV-Kritik „AMAZON ist asozial“ anmerkte.

Steuervermeidung, Arbeitsstress: Wer ist schuld?

Ja, ich finde auch, dass alle, die hierzulande Geschäfte machen, entsprechend Steuern zahlen sollten – und nicht, wie Amazon es tut, durch geschickte Wahl des Unternehmenssitzes in Luxemburg diese umgehen können sollten.

Aber WER ist bittschön daran schuld, dass sowas geht? Das sind doch die Politiker, die nationalen wie insbesondere die EUROPA-Politiker, die diese Standortkonkurrenz per Steuersätze zwischen EU-Ländern ermöglichen. Zu erwarten, dass auf Profit orientierte privatwirschaftliche Unternehmen ihre legalen Möglichkeiten der Steuervermeidung nicht nutzen, ist naiv und blauäugig. Das ließe sich schon gegenüber den Aktionären kaum rechtfertigen.

Das kapitalistische System ist wie es ist, solange niemand es ändert. Der „gute einsichtige Unternehmer“ wurde schon zu Marx‘ Zeiten nicht als Problemlösung angesehen. Man muss die entsprechenden Strukturen schaffen, wenn man Steuergerechtigkeit will. Und ein anderes Arbeitsrecht, wenn man die Arbeitsplätze „gemütlicher“ haben will, was ich jederzeit gerne unterstütze! (Vor allem sollte man kein Freihandelsabkommen abschließen, das sämtliche sozialen und umweltorientierten Beschränkungen wirtschaftlichen Handelns als „Handelshemmnis“ für die Regierungen bzw. die Steuerzahler schadensersatzpflichtig macht!)

AMAZON boykottieren?

Wallraff rief in der Sendung mehrfach zum Boykott von AMAZON auf. Dem werde ich nicht Folge leisten (Mein Buch „Unverbissen vegetarisch“ könnte ich gar ncht raus nehmen, sowas kann nur ein Wallraff von seinem Verlag verlangen!). Um so gegen die genannten Missstände zu demonstrieren, müsste sich ein Boykott gegen die gesamte Branche richten, in Sachen Steuer auch gegen viele andere internationale Großkonzerne.

Verärgert hat mich auch das Bashing von AMAZON als „Monopolist“, wobei wenig später eine Zahl von 30 bis 40% Marktanteil genannt wurden. Ist das schon ein Monopol? Zudem wurde erst in Minute 29 erstmalig erwähnt, dass nicht alles, was auf den AMAZON-Seiten ausgestellt ist, von AMAZON selber stammt. Es ist vielmehr ein riesiges Netz kleiner Händler, die die „Maschine Amazon“ für sich nutzen und im Partner-Net mitmischen – auch sie würde ein Boykott treffen, was ich ziemlich kontraproduktiv fände!

Wo ich mitziehe: Mehrfachbestellungen zum Ausprobieren mit vielfachem Zurücksenden sind für mich ein NoGo!!

Wieder im Laden kaufen?

Wo es keinen guten Grund gibt, einen physischen Laden aufzusuchen, mache ich das auch nicht. An „Shopping gehen“ fand ich noch nie Gefallen, es frisst Zeit, bedeutet Stress und Beratung bezüglich vieler Produkte findet dort kaum mehr statt. Diese gibt es jedoch im Netz – und das in einer Qualität und Glaubwürdigkeit wie noch niemals zuvor (trotz vieler „gefakter“ Bewertungen).

Der Vorwurf der „Verkümmerung der zwischenmenschlichen Kultur“ ignoriert die Tatsache, dass der Plausch mit dem Verkäufer noch nie der Grund war, einen Laden zu betreten. Und oft genug sind diese Wortwechsel eher frustrierend als beglückend: Haben wir nicht da, müssen wir bestellen, das weiß ich auch nicht, führen wir nicht…. Selbst beim gescholtenen AMAZON gibt es vergleichsweise erfreuliche zwischenmenschliche Kontakte, z.B. in der aktiven Community der Buch-Rezensierenden, im Austausch über Vorteile und Mängel der Produkte – all das ist zwar nicht „physisch“, aber sehr wohl menschlich.

Kreative Unternehmer/innen, die für ihr Thema brennen, werden es online und offline auch weiterhin schaffen, Menschen anzuziehen und die Kultur rund um ihre Produkte erblühen statt verkümmern zu lassen. (Beispiele dafür erfordern einen extra Artikel). Den einfachen Vertrieb von Allerweltsprodukten wird jedoch zunehmend „die Maschine“ leisten, sehr wahrscheinlich bald mit Robotern anstatt mit Menschen, die unter stressigen Arbeitsbedingungen leiden können.

Dagegen anzustinken ist so sinnvoll wie der Kampf für die Weiterbeschäftigung von Heizern auf der E-Lock. Die POLITIK ist gefordert, eine Welt für alle lebbar zu gestalten, auch wenn viele Arbeiten automatisiert werden – und wir alle müssen den Hintern hoch kriegen, um entsprechend Druck zu machen.

Im übrigen sollten wir in diesen Tagen unsere Lieferanten beschenken! Und sie selber fragen, wie ihre Arbeitsbedingungen sind.

Diskussion

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Ein Kommentar zu „Thema AMAZON bei #Jauch: Verkümmerung der zwischenmenschlichen Kultur?“.

  1. Lass‘ Dir von einem Vater gesagt sein, dass „Jogeshwar wirkte mit seinem nostalgischen Sehnen nach der Scheibe Wurst für’s Kind, die es beim Metzger noch gäbe (ich bezweifle das!) da schon ziemlich betulich“ Deine Zweifel unbegründet sind. Es gibt sowohl die Scheibe Wurst, als auch eine solche aus Käse und auch das kostenlose Schokobrötchen noch. Auch bei 10jährigen Kindern … bei kleineren sogar noch häufiger.