Claudia Klinger am 27. Oktober 2016 —

WordPress künftig in gendersensibler Sprache – nicht als Option, sondern im Core

Dieser Beitrag erschien zuerst im Digital Diary, doch passt er fasst besser in dieses Blog.

Schon gewusst? Es gibt die ernsthafte Absicht, das deutschsprachige WordPress (=die Software der meisten Blogs und vieler kommerzieller Webseiten) künftig in „gendersensibler Sprache“ auszuliefern. Nicht als Option, die frei wählbar wäre, sondern als Standardversion.

Das von Caspar Hübinger vorgeschlagene Projekt nennt sich „Stringintelligenz – Vorschlag zur Verbesserung der deutschen Lokalisierung für WordPress 4.7“ und hat den Status eines „Feature Projects“ innerhalb der Verfahrens- und Entscheidungsstrukturen der WordPress-Community.

Ein „Feature Project“ für Lokalisierung hat es noch nie gegeben. Warum man diesen Weg wählt, schreibt Caspar recht deutlich:

„Wenden wir das Konzept „Feature Project“ auf die Lokalisierung von WordPress an (hier: die deutschsprachige), ergibt sich eine Verschiebung in den Zuständigkeiten: Nicht das Core-Team von WordPress muss dem Projektvorschlag zustimmen, sondern das Polyglots-Team für WordPress in Deutsch.“

Sternchen statt generisches Maskulinum?

Nun ist es ja im Prinzp richtig, dass eine Entscheidung zur verwendeten deutschen Sprache vom deutschsprachigen WP-Team getroffen wird. Und es wird in einem Plugin-Forum auch umfänglich diskutiert, wie genau das „gendersensible Deutsch“ ausgestaltet werden soll – allerdings soll es dort keine Grundsatzdiskussionen über das „ob“ geben.

Ziel ist es, „WordPress durchzugendern“, wie Caspar in seinem Podcast auf dem Presswerk berichtet (dort laufen auch lesenswerte Kommentare ein). Insbesondere soll das generische Maskulinum weichen, da Frauen dabei zwar offiziell „mitgemeint“ seien, aber dies in den Köpfen der Menschen nicht so ankomme. Mehrheitlich geht es dabei um Rollenbezeichnungen wie „Autor“ oder „Benutzer“, so dass ich zunächst dachte, das Gendern beträfe nur das Backend, den Administrationsbereich – nichts davon wäre also von außen zu sehen. Dazu schreibt jedoch ein Kommentierender:

„An einer anderen Stelle im Gespräch wurde gesagt, es würde nur das Backend betreffen. „Hauptsächlich“ müsste es heißen. Zum Beipsiel sind 20% der Sternchen im Frontend zu finden.“

Oh je! Gegen „gendersensible Sprache“ habe ich nichts, solange sie in Form allgemein akzeptierter Grammatik und Rechtschreibung stattfindet. Auch Caspar strebt das, wie er mehrfach betonte, genau SO an: Wo immer möglich sollen Umschreibungen das generische Maskulinum ersetzen, nur im „Notfall“, wenn gar nichts anderes einfällt (etwa bei „Autor“), würde man auf Sternchen, Gender-Gaps oder ähnliche Formen zurück greifen wie Autor*in, Autor/in, Autor_in und AutorIn. Es handle sich höchstens um 1% der Fälle, wo dies relevant würde.

Meinen Kommentar auf Presswerk gebe ich hier mal 1:1 wieder:

„Zu meinen Kunden gehören Bloggerinnen 70plus genauso wie kleine und mittlere Unternehmen. Die Unternehmen betreiben jeweils mehrere Blogs, sind gut in ihrem jeweiligen Business und vertreiben physische Produkte an extrem gemischte Zielgruppen, auch B2B.

Die werden Sternchen/Unterstriche und dergleichen nicht akzeptieren können, selbst WENN sie selbst intern nicht dagegen wären!
Ich mag mir gar nicht vorstellen, was es da für Diskussionen geben wird – und fürchte, dass lieber auf Joomla umgestiegen wird als sich mit Gender-Sternchen zu arrangieren! Weil man nicht riskieren will, deshalb auch nur einige Kunden zu irritieren…

Also bitte bitte: Habt ein Einsehen! Geschlechtersensible, aber deutschsprachig korrekte Formulierungen sind ok. ABER KEINE Sternchen, Unterstriche, Gaps – auch nicht bei “nur 1%”!!!“

Den Einwand beantworte Caspar mit dem tröstlich gemeinten Hinweis, dass das letzlich entscheidende Polyglott-Team Einwände wie meinen nicht auf die leichte Schulter nähme und dass noch nichts entschieden sei. Hm…

Eine andere Gruppe, die unter Sternchen et al zu leiden hätte, wären alle, die einen Screenreader nutzen. Sämtliche Vorleseprogramme lesen diese „Störfaktoren“ nämlich auf sehr gewöhnungsbedürftige Weise vor. Erstaunlich also, dass das Projekt sich mit der Intention schmückt, eine bessere Accessibility (Zugänglichkeit, Barrierefreiheit) zu gewährleisten.

Ideologie und WordPress

Grundsätzliche Kritik am gesamten Vorhaben formuliert Vladimir Simovic auf Perun.net im Artikel „Warum es wichtig ist, dass WordPress frei von Ideologien bleibt?“ Schließlich ist nicht zu leugnen, dass die Frage des Genderns von Texten hoch umstritten ist. Ihm stinkt einerseits die Argumentationsweise der Befürworter:

„Es werden Argumentationsebenen gewechselt: mal will angeblich die Mehrheit diese Maßnahme, mal geht es um den Minderheitenschutz, dann wieder um Accessibility (häh?), mal sollen die Frauen und mal die ganze Welt gerettet werden. Mal davon abgesehen, dass für so etwas belastbare Belege fehlen, ist es nicht die Aufgabe von WordPress bzw. der deutschen Ausgabe, die Welt, Frauen, Kinder, Delfine und was weiß ich wen zu retten.“

Andrerseits formuliert er eine Kritik, der ich mich voll und ganz anschließe:

„Hätten die Autoren des Plugins lediglich vor gehabt, eine weitere Sprachdatei anzubieten, wie es auch jetzt im Fall der förmlichen Anrede ist (Sie statt du) oder es bei einem Plugin belassen, dann wäre alles kein Problem gewesen. So, aber handelt es sich schlicht um eine Bevormundung, die keinen weiter bringt und gegen die ich mich hier ausdrücklich wehren möchte.“

Warum keine Wahlfreiheit?

Auf die berechtigte Frage, warum es nicht den Einzelnen überlassen bleiben soll, (wie bisher) so ein Gender-Plugin einzubinden oder eben nicht, fand ich keine Antwort bei den Befürwortern. Zum Verständnis für Nicht-Wordpress-Kundige: Ein Plugin muss man zusätzlich installieren, doch genau das reicht dem Initiator eben nicht. Die Änderung soll in den „Core“, das Herz von WordPress, in die eigentliche Software, die dann an alle deutschsprachigen Installationen ausgeliefert wird.

Die Möglichkeit, durch ein „Reverse-Plugin“ diese Änderungen aus der jeweiligen Version wieder zu entfernen, wäre zwar gegeben. Allerdings: Wenn das Gendern mal im Core ist, dann gelten die entsprechenden Übersetzungsregeln auch für alle anderen zigtausend Plugins, die es für WordPress gibt. Praktisch jedes Blog nutzt mehrere bis viele davon – und für alle müssten „Reverse-Plugins“ programmiert und gepflegt werden. Ein unvorstellbar aufwändiges Unternehmen, in der Praxis kaum umsetzbar. Man hätte im Ergebnis mal Sternchen und mal nicht – ein unübersichtlicher Verhau, dessen Bereinigung viel Arbeitszeit fressen würde.

Mein Fazit: Solange die gegenderte Version freiwillig zu nutzen ist, bin ich dafür – egal ob als Plugin oder extra Sprachversion. Ansonsten bin ich dagegen, einerseits aus sprachästhetischen Gründen, aber hauptsächlich wegen der professionellen Verwendung bei Kundinnen und Kunden, die Sternchen und Ähnliches definitiv nicht auf ihren Seiten sehen wollen.

***

Diskutiert wird das Vorhaben auch in einem Unterpunkt zur Plugin-Diskussion, die sich ansonsten nur auf das WIE der Übersetzung bezieht.

Diskussion

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3 Kommentare zu „WordPress künftig in gendersensibler Sprache – nicht als Option, sondern im Core“.

  1. In den ausführlichen Shownotes zum zitiertem Podcast werden einige Punkte klargestellt, die der Artikel unklar oder falsch darstellt. Ich copy-paste mal:

    Keine Grundsatzdiskussionen erwünscht?!
    – Hinweis in Sticky-Post des Support-Forums
    – meint nicht, dass keine Diskussion erwünscht ist, sondern ist als Bitte um Diskussion des Plugins an sich im Plugin-Forum gedacht

    Kommen jetzt überall Sterne ins Interface?
    […] eigentliches Ziel ist es, ohne Trennzeichen auszukommen – Gender-Stern ist Notlösung

    Die Interpretation von Übersetzung als Accessibility-Feature im weiteren Sinne wurde hier näher erläutert: https://de.wordpress.org/team/2016/10/21/stringintelligenz-wozu-das-ganze/#stringintelligenz-wozu-uebersetzung-als-accessibilty-feature

  2. Ich habe das durchaus korrekt berichtet:

    „Und es wird in einem Plugin-Forum auch umfänglich diskutiert, wie genau das „gendersensible Deutsch“ ausgestaltet werden soll – allerdings soll es dort keine Grundsatzdiskussionen über das „ob“ geben.“

    Auch das „eigentliche Ziel“ habe ich erwähnt:

    „Auch Caspar strebt das, wie er mehrfach betonte, genau SO an: Wo immer möglich sollen Umschreibungen das generische Maskulinum ersetzen, nur im „Notfall“, wenn gar nichts anderes einfällt….“

    Insofern erscheint mir deine eilige „Richtigstellung“ etwas seltsam!

  3. Grundsätzlich ist die Idee gut… man sollte dafür offen sein. Und besonders gut an der Umsetzung finde ich die „Freiwilligkeit“. Ich könnte es schwer meinen Kunden vermitteln, dass das CMS ihnen keine Wahl läßt, ob sie dieses Sternchen-Gendergeschreibsel auf Ihrer Webseite möchten. Ich kann akzeptieren, dass Leute das gerne möchten, aber mich persönlich stört es im Lesefluss – und der ist mir wichtig beim Lesen.