Dieser Verdacht drängt sich jedenfalls auf angesichts der ersten Online-Tage der neuen Blogbibliothek: Man soll dort besonders gelungene Blogartikel zur Aufnahme in die Bibliothek vorschlagen, doch benennen Blogger/innen vornehmlich EIGENE Beiträge. Und erwecken so den Eindruck, als gäbe es für sie kein (Lese-)Leben neben den Bemühungen, das selbst Geschriebene einer möglichst großen Leserschaft bekannt zu machen.
Thinkabout, der Initiator des Projekts, findet das an sich ganz ok, meint aber auch, das Hauptproblem der Bloggerszene sei ihre furchtbare Selbstbezogenheit:
„Die meisten Nennungen anderer Blogs in eigenen Artikeln, die meisten Verlinkungen in Blogrolls tragen als Kern ihrer Motivation die Erwartung in sich, dass die Beachtung am Ende auf einen selbst zurückfällt. Link erzeugt Gegenlink. Grundsätzlich ist dagegen nichts zu sagen. Ja, man kann konstatieren: So funktionieren Blogs, so ist die vernetzte Welt der Blogs entstanden, so verbreiten sich Neuigkeiten aus der Bloggerszene im Netz. Was wahr ist und Teil einer faszinierenden Dynamik, ist gleichzeitig das Problem: Die Szene verspinnt sich zum engen, nach innen gerichteten Kokon.“
Vom Lesen zum Schreiben – nicht umgekehrt
Diese Kritik ist nicht neu und sie stimmt für weite Teile der Szene, was oft genug zu für die Allgemeinheit weitgehend unverständlichen Beiträgen führt. Das LESEN vieler Blogger beschränkt sich vielfach auf genau die Themen, die das eigene Interesse bedienen, möglichst viel Aufmerksamkeit zu gewinnen: Wie mache ich mein Blog noch bekannter und interessanter? Wer darüber Artikel schreibt, kann sich über zuwenig Leser nicht beklagen, doch beißt sich die Katze hier immer wieder in den Schwanz und „ganz normale Leser“ wenden sich gelangweilt ab.
Es klingt recht idealistisch, wenn Thinkabout dagegen anschreibt:
„Auch Blogger müssen sich wieder mehr als Leser begreifen, müssen guten Text achten und fördern (und an neuen Orten suchen), auch ohne Eigeninteresse – und sich so auch im eigenen Schreiben wieder mehr befreien. Wie viel Energie verbrauchen wir selbst, nur um in unserem eigenen Blog zehn Leser mehr zu bekommen? Wann empfinden wir wirklich Befriedigung beim Schreiben?“
Gestern hat es mich sehr befriedigt, in Resonanz auf ein Blogposting eine kleine Rezension (Über die frustrierende Liebe zu einem SEO) zu schreiben, in der ich mal eine andere Sprache ausprobiere als normalerweise. Solche Schreibexperimente machen ganz unabhängig von der Leserschaft Spaß, doch braucht es dazu schon ein gewachsenes Selbstverständnis als Schreibende. Und man muss vom THEMA ergriffen sein, egal wie – was ohne LESEN natürlich nicht funktioniert.
Lesen, schreiben – und diskutieren?
Lesen und Schreiben bedingen einander: Wer nichts liest, ist mit seiner Inspiration bald am Ende und recycelt nur noch die eigenen Lieblingsthemen. Die Blogbibliothek mit ihrer Forderung, gute Artikel zu empfehlen, gibt Anstöße, mal wieder den Blick über den eigenen Blogtellerrand zu erheben und nach den Perlen Ausschau zu halten, die zweifellos auch im Universum der Blogs jeden Tag erscheinen. Indem sie gleichzeitig KEINEN Web 2.0-typischen Raum für die Diskussion der abgelehnten Texte eröffnet, sondern sich auf die Bibliotheksfunktion beschränkt, stößt sie in den „Quellenblogs“ Auseinandersetzungen mit Fragen des Schreibstils an, die ich sehr begrüße. Bin gespannt, wie sich das Ganze noch entwickeln wird. Das Bibliotheksblog sollte man (neben der Bibliothek selbst) jedenfalls auf dem Radar behalten!
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4 Kommentare zu „Können Blogger nicht mehr lesen?“.