Ein Gespenst geht um in der Blogosphäre: die Lust am Untergang. Seit der BlogScout das Handtuch geworfen hat, weil er mit seinen Charts ungewollt die Konzentration auf „Schwanzvergleiche“ förderte, sind Abgesänge, Brandreden auf die Verlotterung der Sitten und Abgänge mit großem Knall an der Tagesordnung. Manch einer hört auf, weil er die rechtlichen Risiken nicht mehr tragen mag, doch meist geht es um Frust und Ärger, um Enttäuschung und den Zerfall idealistischer Vorstellungen von der „Blogger-Gemeinde“, die der sich allzu schnell differenzierenden Realität nicht mehr standhalten. Etwas leiser verschwinden diejenigen, die erkennen, dass es auf Dauer nichts bringt, rund um eine inhaltliche Leere ein „erfolgreiches Blog“ mit Marketing-Mitteln krampfhaft am Laufen zu halten – und dass das auch gar nicht so leicht ist wie gedacht. (Wer auf angenehm entspannte Weise in die aktuelle Diskussion eintauchen will, lese den blogherbstmonolog in den Reisenotizen von Andrea und die Kommentare).
Als mein Feedreader letzte Woche dann auch vom Onezblog einen Artikel mit dem Titel „Ich höre auf zu bloggen“ meldete, fand ich das traurig, denn Raphael Raues Artikel hatte ich immer gerne gelesen: manchmal ein wenig weitschweifig, so waren sie doch inhaltsreicher und „persönlicher“ als die oft üblichen „Info-Häppchen“, die so manches Blog füllen. Und er hatte doch gerade erst sein Design „mainstreamiger“ gestaltet – zu meinem Leidwesen, denn das alte fand ich klasse, gerade WEGEN seiner individuellen und unverwechselbaren Ausstrahlung. Und jetzt also plötzlich das Ende?
Zum Glück wird manches nicht so heiß gegessen, wie es eine fetzige Überschrift vermuten lässt, denn nach der Überschrift „Ich höre auf…“ heißt es dann weiter:
„…wenn auch nicht ganz, sondern nur auf die Art und Weise, wie ich diesen Blog im letzten halben Jahr geführt habe. Ich habe mir ein Ziel gesteckt, das Feuilleton der Blogosphäre zu werden und mich darin irgendwie verfangen, verheddert und dadurch die Lust am Bloggen, ja fast sogar am Schreiben verloren. Das habe ich vor allem wären meines Monats in Tschechien festgestellt, in der ich geschrieben habe ohne an dieses Blog zu denken. Es hat viel mehr Spaß gemacht.
Ich habe mir ein riesiges Brett vor den Kopf genagelt, im Streben nach Qualität habe ich ganz einfach den Faden verloren. Die Motivation lag bei allem, außer dem Schreiben selbst und das kann ich so nicht für mich akzeptieren.“
Glückwunsch! Es freut mich, wenn jemand merkt, dass er sich verrannt hat und sich dann nicht scheut, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Verrannt im „perfekt bloggen wollen“ mit allem, was heute so dazu gehört und in Gestalt unzähliger „Blogtipps für Einsteiger“ locker Tsunami-Format annimmt, wenn man nicht genau weiß, was man will und was nicht.
Speicher löschen – neu starten
Um die eigene Motivation, die ganz persönliche Lust am Bloggen wieder zu finden, ist eine Pause oder eine „back to the roots“-Phase der Besinnung tatsächlich sehr hilfreich. Gerade die Freiheit, im eigenen Blog zu tun und zu lassen, was man gerade mag, ist der wesentliche Ausgangspunkt aller Freude am Bloggen – und das umfasst für mich auch die Freude über ein paar Werbeeinnahmen, wenn diese nicht dazu führen, dass aus dem Autor ein bloßer Geschäftsbetrieb ohne Inhalt (!) wird.
Nichts gegen Geschäftsbetriebe, ich will hier die mit harten Bandagen geführte „Kommerzdiskussion“, wie sie nicht zum ersten Mal durchs Web schwappt, nicht erneut wiederkäuen. Mir geht’s um den oft erstmal nicht weiter bemerkten Sog, der von jeglicher Professionalisierung ausgeht: man hat etwas GUT gemacht, ist in der Sache im Lauf der Zeit besser geworden – und auf einmal ist da „was richtig Nützliches“, das von anderen auch nachgefragt wird. Lob und Erfolg kommen Hand in Hand mit ERWARTUNGEN und ANFORDERUNGEN unterschiedlichster Interessenten und schwupps, bin ich nicht mehr am „lustvoll bloggen“, sondern „strebe nach Qualität“, wie es Raphael (Onezblog) so treffend formulierte.
Besitzstand wahren
Man beginnt, das Erreichte als Besitzstand anzusehen, denn man gerne halten, nicht gefährden und auch mehren möchte. Nun werden „SEO-Aspekte“ wichtiger, das Design wird mainstreamiger, man macht sich mehr Gedanken darüber, was Besucher suchen könnten als darüber, was man gerne schreiben will – und man schreibt jetzt regelmäßig, zur Not „irgendwas“, weil es dem Publikum angeblich nicht zuzumuten ist, mal nichts Neues vorzufinden.
So wird der eigenen Lust am Schreiben und „mit der Welt kommunizieren“ nach und nach der Boden entzogen. Womöglich findet man das auch noch „ganz normal“. Schließlich sind wir ja irgendwie dazu erzogen, dass „richtige Arbeit“ auch stresst und nervt – wer also über das bloße Hobby-Bloggen für Freunde und Bekannte hinaus wächst, ist leicht gefährdet, nun der scheinbar einzigen Alternative zu verfallen: das Blog als Geschäftsbetrieb, dessen Chef und Angestellter man in Personalunion ist, strampelnd und sich von früh bis spät „um Qualität bemühend“ – wobei ANDERE ansagen, was das jeweils sein soll.
Die EIGENE Qualität entwickeln
Was dabei leicht vergessen wird, ist die Qualität, die bereits vorhanden ist: die EIGENE Qualität. Warum sind denn bisher Leser gekommen? Doch deshalb, weil man Ansprechendes geschrieben oder gezeigt hat, in einem Design, das dem eigenen Gefühl entspricht, in einer Rhythmik, die das „Bock-Prinzip“ diktiert und niemand sonst. Warum soll das auf einmal nicht mehr „gut genug“ sein? Was drängt dazu, sich den allseits kolportierten Vorstellungen zu unterwerfen, wann, wie oft, wie ausführlich, wie bunt geschmückt oder bleiwüstenmäßig die eigenen Beiträge zu sein hätten? Sich alledem anpassen heißt austauschbar werden, in der Masse verschwinden, den Draht zum „inneren Schreiber“ verlieren und bloßer Zulieferer eines Unterhaltungsbetriebs auf wenig originellem Niveau zu sein.
Lustvolle Professionalisierung
Manche wollen das so, bitte schön! Das sind aber nicht diejenigen, die darüber nachsinnen, mit dem Bloggen aufzuhören. Sich an ihnen zu reiben, heißt, seine Zeit mit falschen Gegnern zu verschwenden. Ich reg‘ mich ja auch nicht auf, dass es Supermärkte und Fachgeschäfte, Discounter und Marktstände gibt, sondern bin glückliche Freiberuflerin, die täglich den Grenzgang zwischen Lust und Pflicht, Freude an der Sache und nerviger Routine aufs neue geht und das spannend findet. Wobei das Ziel trotz phasenweiser Ablenkungen und Irrtümer immer wieder klar wird: Ich will mein Geld mit Dingen verdienen, die mir Freude machen: MAXIMALE FREUDE, nicht nur dieses resignierte „ganz ok finden, was man macht“. Webseiten bauen wurde so „beiläufig“ zur Erwerbsquelle, meine Lust an Mitschreibprojekten und kollaborativen Experimenten kondensierte in den Schreibimpulse-Kursen, und das Webdiary-Schreiben seit 1998 heißt heute halt bloggen. Dass es nun auch zum Einkommen beiträgt, setzt diese Reihe „lustvoller Professionalisierungen“ nur konsequent fort.
„Mit dem Bloggen aufhören“ ist keine Lösung, wenn man gerne schreibt und publiziert. Wer sein Tun zur lustlosen, aber marktgängigen Maloche gemacht hat, kann damit auch wieder aufhören und – nach einiger Innenschau und Neuorientierung – wieder so bloggen, wie es wirklich Spass macht. Wer sich jedoch vor allem über eine „Szene“ definiert und motiviert, hat verständlicherweise ein massives Problem, wenn die jeweilige Gruppierung sich verändert, wenn andere „Gurus“ gehört werden und auf einmal das „Wir-Gefühl“ verschwindet. Das kann richtig weh tun, doch hilft auch hier die Besinnung auf das Eigene: Was will ICH machen – unabhängig von allen, die mir bisher wichtig waren?
Blogs, die nach solchen Frust- und Ausstiegsphasen entstehen, sind dann wieder besonders spannend!
Diskussion
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21 Kommentare zu „Mit dem Bloggen aufhören?“.