Claudia Klinger am 11. Oktober 2011 —

Stell dir vor, es gäbe ein lokales, soziales Netz….

Berlin Friedrichshain, im Jahr 2014, Freitag Nachmittag.

Silvia B. übt seit einem halben Jahr Yoga und denkt beim Blick aus dem Fenster: Tolles Wetter, genau richtig für Draußen-Yoga. Gedacht, getan: „18 Uhr Yoga-Treff auf dem Boxi – wer kommt?“ tippt sie in ihre Statuszeile. Die Meldung ist für Anwohner/innen und Besucher im Umkreis von einem Kilometer lesbar, zudem von allen, die über das Interesse „Yoga“ mit ihr vernetzt sind. Auch auf den thematisch sortierten schwarzen Brettern taucht ihr Anliegen auf – und siehe da: Fünf Leute melden sich, drei davon kennt Silvia schon, einer ist neu und eine Touristin ist auch dabei, die den Vorschlag per Handy mitbekommen hat.

Bernd K. ist Veganer und zeigt gerne, wie man aus Weizengluten einen wohlschmeckenden Fleischersatz macht. „Suche Küche mit Essgelegenheit für 3-stündigen Kochworkshop“ tippt er ins LSN (=lokales soziales Netz). Es meldet sich Birgit, die eine große Küche hat, aber meist keinen Bock, da alleine zu kochen – seit ihrer Trennung ist ihr die Wohnung eh zu groß. Auch der Veggie-Imbiss meldet Interesse an und will sogar für Getränke sorgen. Könnte ja sein, dass der eine oder die andere perspektivisch dann doch zu faul zum selber kochen ist…

Anna B. ist frisch zugezogene Altenpflegerin und seit wenigen Tagen bei einer Friedrichshainer Sozialstation in der ambulanten Pflege beschäftigt. An diesem Freitag ist sie bei Frau K., die trotz ihrer 85 Jahre und Pflegestufe 1 geistig noch voll fit ist. „Schauen Sie mal, was ich da entdeckt habe! Hat mein Enkel mir gezeigt“, sagt Frau K., während sie auf ihrem Tablet etwas eintippt. Anna schaut ihr über die Schulter: „Wer kauft morgen auf dem Markt für mich mit ein?“ steht da jetzt. Alle in der Gruppe „freiwilliges, spontanes Engagement“ vernetzten Friedrichshainer werden von dem Anliegen erfahren, berichtet Frau K. Sicher ist da jemand dabei, der Lust und Zeit hat, sie am Samstag nach dem Markt kurz zu besuchen. „Ja, wie? Sie lassen einfach jeden in die Wohnung, der sich da jetzt meldet?“ fragt Anna halbwegs entsetzt. „Aber nicht doch, Kindchen! Ich nehm’ nur Angebote von Leuten an, die von der AWO, der Caritas oder vom Kiez-Verein verifiziert sind. Nicht einfach irgendwen!“

Ein Netz fürs reale Leben ?

Das sind drei Beispiele von unzähligen, die mir einfallen wenn ich darüber nachdenke, was ein lokales soziales Netz, das den Namen auch wirklich verdient, leisten bzw. ermöglichen könnte. Die ganze Palette der Nachbarschaftshilfe und der freiwilligen Arbeit könnte eine neue Blüte erleben: Nachhilfe, Babysittig, Teilen von Werkzeugmachinen, Katze füttern, Blumen gießen, Hund ausführen, im Urlaub die selbst begärtnerte Baumscheibe pflegen, alte Menschen besuchen und vieles mehr. Auch stadtteilpolitische Aktivitäten könnten über das LSN organisiert werden. Man fände leicht Partner für diverse Hobbys und Freizeitaktivitäten jenseits des bloßen Konsums von Waren und Dienstleistungen – ja, und da liegt auch einer der Gründe, warum es lebendige soziale Netze im physischen Nahraum (!) heute noch nicht wirklich gibt.

Weil es sich nämlich „nicht rechnet“, so etwas aufzubauen. Die paar Restaurants, Kneipen, Frisöre und Blumenläden, die den Kommerz im Kiez darstellen, haben nie und nimmer genug Werbegeld übrig, um für den Business-Plan eines ehrgeizigen StartUps interessant zu sein. Deshalb sind die schon existierenden Netzwerk-Angebote auch nur pseudo-lokal, nämlich „überall“ nutzbar – und damit eben lokal nicht mehr wirklich nützlich, bzw. weitgehend inhaltsleer.

Entwicklung von unten

Ein lokales soziales Netz (LSN) ist nicht von ganz oben aufsetzbar, sondern müsste von unten, von und mit den Menschen bzw. Interessenten, mit den ansässigen Vereinen und Institutionen, Initiativen und Projekt-Gruppen aufgezogen werden. Es hätte viel in Sachen Internet-Bildung zu leisten und müsste einen quasi-öffentlichrechtlichen Charakter haben: frei vom Streben nach Profit, ohne Wachstumszwang, einzig den Anliegen der Nutzer/innen verpflichtet und an diesen entlang weiter zu entwickeln.

Das sind mal ein paar erste Gedanken dazu, die mich schon länger umtreiben. Die Möglichkeiten lokaler sozialer Netze sind enorm, wenn man sie weiter denkt – die Hindernisse sind aber auch nicht grade klein!

Das Thema wird also fortgesetzt. Und wer etwas dazu beitragen will, ist herzlich eingeladen, sich zu beteiligen (Gastartikel, Linktipps, Kommentare etc.).

Diskussion

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25 Kommentare zu „Stell dir vor, es gäbe ein lokales, soziales Netz….“.

  1. Schöne Artikel und schöne Beispiele.

    Ist es nicht genau das, was Google+ schon in der App über die Ansicht „In der Nähe“ umgesetzt hat?

  2. Könnte mit weiterer Verbreitung und Entwicklung des Internets ja vielleicht kommen. Sogar sehr wahrscheinlich. Was sich im Großen in großen Netzwerken wie FB und G+ längst etabliert hat, wird irgendwann auch ganz unten ankommen. Zumal es da besonders naheliegend ist. Dem stehen allerdings zwei Dinge widersprüchlich entgegen und zueinander. Insbesondere in großen Städten haben die Menschen oft nicht mehr viel miteinander am Hut, gehen einander aus dem Wege und so. Vielleicht sind dann solche Netzwerke geeignet, daran wieder bißchen was zu ändern.

  3. @Daniel: Nein, das ist NICHT genau das. Es geht eben nicht um eine bloße Software-Lösung, die ein Konzern oder StartUp der Welt mal eben so hinstellt. Wieviel Friedrichshainer sind online? Wieviel davon sind bei Google+ ? Wieviel nutzen da was LOKAL – mal abseits von kommerziellen Interessen? Wieviel Institutionen und Vereine, wieviel Freiweilligen-Inis und Bürger-Initiativen nutzen G+ für ihre lokalen Zwecke??

    Und: warum spielt softwaretechnisch „lokal“ meist nur eine Rolle, wenn man per Handy oder Tablet online geht? Was ist mit all den Leuten am PC oder Notebook? Ich denke das lokale Netz vor allem als „Betriebssystem“ derer, die am jeweiligen Ort leben – und nicht als Touristen-Gadjet, das zeigt, wo die nächste Pizzeria oder der Geldautomat ist.
    Anwohner wissen das und haben andere Anliegen.

  4. @Michael: ja, das ist eine Hürde, über die ich noch gesondert schreiben werde. Ich denke mal, mit Zuspitzung der Krise wird den Menschen wieder mehr einleuchten, dass es gut ist, sich IN DER NÄHE zu vernetzen…

  5. Das Problem, dass nicht jeder „drin“ ist, wird es aber bei anderen Lösungen genau so geben.

    Evtl. ist aber auch das mit Google+ falsch rüber gekommen. Es geht mir nicht um die Empfehlungen von Google für einen bestimmten Standort. Es gibt eine Ansicht in Google+, wo man die Postings von Leuten sieht, die in der Nähe sind. Da sind teilweise sehr interessante Sachen dabei, vor allem wenn man in ner fremden Stadt ist.

    Diese Ansicht lässt sich übrigens auch (momentan noch) nur durch einen Umweg auf dem PC aufrufen: https://m.google.com/app/plus/mp/192/#~loop:svt=nearby&view=stream

  6. @Daniel: danke für den Link. Ich werde da irgendwo in Berlin Mitte verortet und kann grade Sascha Lobo und 3 andere lesen.

    „vor allem wenn man in ner fremden Stadt ist.“
    Schön und gut, das ist die übliche Touristen-Denke. Vernetzung im lokalen Wohnumfeld dient ganz anderen Interessen. Und „dass nicht viele drin sind“ ist tatsächlich genau das Problem, das man mit EGAL WELCHEM TOOL nicht ausräumen wird.
    Sondern nur durch reales Social Engineering: Hingehen, reden, informieren, lehren, Veranstaltungen machen, lokale Akteure einbinden – ja, da muss es m.E. anfangen: dort wo eh schon Leute ihre Nahbedürfnisse IRGENDWIE ohne Netz befriedigen. Oder noch gar nicht, weil es nichts gibt…

    Eigentlich hätte ich erwartet, dass das z.B. die vorhandenen Offline-Tauschringe anschieben – aber nix, von denen hab ich in Bezug auf digitale Vernetzung noch fast gar nichts gehört.

  7. […] Stell Dir vor, es geäbe ein lokales, soziales Netz…. (von Claudia […]

  8. dankt für die Kontaktaufnahme der Autorin und würde sich über weitere Auseinandersetzung zu diesem spannenden Thema bei Gelegenheit sehr freuen. Gut geschriebener Artikel, das da oben!

  9. Sie sind eine unverbesserliche Idealistin Frau Klinger.

    Warum gibt es so ein LSN nicht? Weil entweder kein Interesse daran besteht oder es sich nicht rechnet. Ich gehe davon aus, dass niemand so eine Arbeit ohne Gegenleistung erbringen wird. Sie sprechen da auch den Werbeetat der lokalen kommerziellen Einrichtungen an. Interessant, dass bei so einer Gelegenheit immer an Werbung gedacht wird. Mal ehrlich, privat nervt uns Werbung auf Schritt und Tritt, aber wenn wir über die Finanzierung einer Idee nachdenken, fällt uns meist nichts anderes als Werbung ein. Bitte, die Werbenden sind auch nicht von einer anderen Welt und wissen oder ahnen, ob jemand an ehrlicher Kooperation interessiert ist oder nicht.

    Es gab und es gibt lokale Angebote im Internet, auch in Friedrichshain, die genau diese Idee verfolgen, sogar mit ähnlichen Finanzierungsstrategien. Diese sind zwar nicht mit sozialen Netzwerken a la facebook vergleichbar, aber wie Sie schon sagen, im Kern kommt es auf die Menschen, nicht die zu verwendende software an. Hat sich aus diesen vorhandenen Ansätzen etwas derartiges wie ein LSN entwickelt? Hat es nicht.

    Weil es keiner kennt. Es müsste mehr Werbung gemacht werden. Weil meine Freunde alle schon bei facebook sind und in Kürze zu Google wechseln werden. „Soziale Netzwerke“ werden benutzt um Kontakte zu knüpfen und zu halten. Muss ich also dahin, wo die anderen sind, oder die anderen kommen da hin wo ich bin, ist schwerer, klar. Weil gar kein Interesse vorhanden ist. Kein Interesse von Privatpersonen (facebook), kein Interesse von Gewerbetreibenden (kein Geld, keine Ahnung), kein Interesse von Vereinen, Tauschringen, Veranstaltern (siehe Gewerbetreibende).

    Und warum auch das Rad neu erfinden? Facebook ist als Werkzeug gut zu gebrauchen. Engagement muss von den Menschen kommen. Die sind in der Masse aber mit dem, was Facebook und Fernsehen ihnen bietet, zufrieden. Für den kläglichen Rest lohnt der Aufwand nicht.

  10. @Ralph:

    atmosphärisch passt es zum Inhalt Ihres Postings, dass Sie der erste in diesem Gespräch sind, der sich für das „Sie“ entscheidet. :-)

    Sie haben mit allem, was Sie sagen völlig recht, doch beschreiben Sie die Vergangenheit.

    Dass dies alles in Zukunft so bleiben wird, ist ungewiss und hängt davon ab, wie sich die Bedürfnisse und Leiden der Menschen entwickeln.

    Immerhin leben wir in einer Zeit, in der sich viele Menschen Lebensmittelvorräte anlegen, falls mal wg. Krise die Warenströme stocken; oder darüber nachdenken, wie sie ihr Erspartes „retten“, während die Politik sich nurmehr um Staaten und Banken kümmert.

    In den Städten verdrängt das Kapital auf der Suche nach sicheren Anlagen die bunte soziale Mischung und zerstört auf die Dauer das lebendige Kiezleben.

    Gelder für Soziales und Kultur werden zusammen gestrichen, wie man liest, steht der „Abschwung“ bevor…

    Doch überall nutzen Menschen auch verstärkt die „sozialen Medien“, um sich zu informieren, sich auszutauschen und zunehmend auch zu kooperieren. In Berlin hat die Netzöffentlichkeit die Piraten ins Abgeordnetenhaus gebracht, es wurden schon Gesetze verhindert und Minister zum Rücktritt motiviert. Auch Unternehmen haben gelernt, dass sie heute mit einer anderen Öffentlichkeit rechnen muss als zu Zeiten der Printmedien.

    Genug, das sind nur wenige Beispiele. Die Dinge ändern sich derzeit, im Großen und im Kleinen. Warum also nicht auch die Kommunikation im lokalen physischen Umfeld? Schließlich ist das der Ort, wo man „sein Leben fristet“, auch wenn der Geist locker vor sich hin globalisiert.

  11. Und, überhaupt, was ist eigentlich bei diesem Thema und mit diesem Fokus hieran falsch? Er schreibt:

    > eine unverbesserliche Idealistin Frau
    > Klinger.

    Na, genau das ist gut. Idealistisch ist der Artikel, das stimmt und ist kein Negativkriterium.

  12. Man lese zur Motivlage den letzten Artikel in diesem Blog:

    https://www.webwriting-magazin.de/ab-heute-wird-hier-welt-veraendert/

    Dass die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten und könnten, wird doch allüberall ständig beklagt und – im besten Fall geistreich und unterhaltend – – beschimpft. Das Web ist voll davon!

    Da bin ich doch froh, mich mal wieder an meinem ersten Inspirator zu Netzzeiten Vilém Flusser orientieren zu können, der von sich sagte, den Kulturpessimismus überlasse er anderen, denn das machten ja viele schon sehr gut.

  13. Danke Claudia, dass du so ausführlich auf meine Antwort eingegangen bist. Das ‚Sie‘ ist für mich eine Form des Respekts, den ich meinte auf Grund unseres Altersunterschieds und deiner hervorragenden Blogs schuldig zu sein. Nun denn, wer will schon gern als gestrig gelten? Ich nicht, also weiter mit ‚Du‘.

    Ich meinte tatsächlich, die Gegenwart zu beschreiben. Das Interesse der überwiegenden Mehrheit der Menschen ist oberflächlich und der Willen, zu gestalten, nicht nachhaltig.

    Du beschreibst dagegen eine ideale Zukunft, der ich angesichts der gegenwärtigen Zustände nicht traue. Wer heute im „realen“ Leben (das Internet ist real, ich versuche, das hier nur bildlich zu trennen) sich nicht um Müll in seinem Umfeld kümmert, wer alten Leuten im Bus keinen Platz anbietet, wer seinen Hund an fremde Autos pinkeln lässt, wer immer der Meinung ist, dafür wäre jemand da es zu tun, wer immer meint, dafür würde jemand bezahlt es zu tun, der soll sich ausgerechnet wegen eines lokalen sozialen Netzwerkes sozial verhalten? Soziales Verhalten ist die Ausnahme, Assozialität ist die Regel.

    Die Wahl des Werkzeuges ist zweitrangig. Ohne Veränderung in den Köpfen ist das alles Müll.

    Ach Claudia, „Lebensmittelvorräte anlegen….“ Du warst doch schon mal in Asien. Dort hast du sicher auch gesehen und erlebt, was Armut ist. Bitte, wir jammern hier auf hohem Niveau. Wir sind weit davon entfernt, arm zu sein oder Vorräte anlegen zu müssen, egal ob wir unseren Tag an der Börse oder auf dem Boxhagener Platz verbringen.

    „…verdrängt das Kapital auf der Suche nach sicheren Anlagen die bunte soziale Mischung..“ Das Kapital! Das Kapital ist natürlich immer etwas Unbestimmtes, was wir nicht kennen. Da Kapital hat natürlich nichts damit zu tun, wenn ich meinen Bankberater nach höchstmöglichen Zinsen frage, ohne Interesse, wo oder wie mein sauer verdientes und schon versteuertes Geld angelegt wird. Das Kapital ist in der Summe auch der kleine Sparer, ist der Steuerzahler, könntest du sein, könnte ich sein. Das Kapital verliert seine böse Fratze, wenn wir es persönlich kennen.

    Das bunte Kiezleben, wen hat es, als es nach Friedrichshain kam, eigentlich verdrängt? Und ist es eigentlich uneingeschränkt unterstützenswert, wenn das Kapital! unter dem Deckmantel der bunten sozialen Mischung! alteingesessene Bewohner (wann ist man das?) verdrängt?!

    Du siehst, dass ich der Entwicklung in Friedrichshain nicht nur positiv gegenüber stehe. Dies hat mit meinen Erfahrungen hier zu tun, ich lebe seit 1990 in Friedrichshain. Die Touristen, die nachts den Kiez unter splitterdem Glas verlassen, sind weniger das Problem. Es sind mehr die Leute, die deswegen nach Friedrichshain ziehen, und glauben, so wäre das hier chic. Assozialität als lifestyle.

    Ich lebe gern hier, Friedrichshain ist heute schöner als vor 10 oder 15 Jahren. Ich weiß, dass die Meute eines Tages weiter zieht, vermutlich aber nicht vor 2014(s.o.).

    Ich freue mich, wenn du den Glauben an den Nutzen eines lokalen sozialen Netzwerkes hast. Aber was ist eigentlich an bestehenden Strukturen so verkehrt, dass sie es nicht Wert sind, als Basis betrachtet zu werden?

    BTW Thomas, ‚Idealistin‘ war durchaus anerkennend, wenn auch mit einem Augenzwinkern gemeint. Schönen Abend.

  14. @Ralph:

    auch dir Danke, dass du so ausführlich wirst! (Übrigens: sooo entwickeln sich Gespräche nur auf Blogs, nicht in den SNs…)

    Wieder gebe ich dir in fast allem Recht, was du hier anführts. (Wir haben fast zeitgleich gepostet, siehe zum Motiv meinen Kommentar weiter oben)

    Allerdings nur FAST: ich schreibe nirgends von einer „idealen Zukunft“. meine paar Beispiele sind doch recht nah an realen Bedürfnissen und kommunikationstechnisch locker machbar. Oder etwa nicht? Was ist daran „ideal“? Ich hab sogar dem berechtigten Misstrauen und Sicherheitsbedürfnis der vereinzelten Individuen eine Lösung verpasst: die „Verifizierung“ (das führ ich mal an anderer Stelle aus).

    Über ideale Zukünfte nachdenken war nie so mein Ding. Die Zukunft wird nicht erdacht, sondern heute gemacht. Welche mögliche Zukunft zur Gegenwart wird, hängt jeden Tag neu von uns ab.

    Aber anstatt dass sich jede/r öfter mal aus der Lethargie des Business as usual reisst (inkl. Klagen und Schimpfen auf hohem Niveau) und was für eine „erwünschte“ Zukunft tut, zerstreitet man sich lieber über die Details des „Idealen“ oder versackt im „geht-nicht-weil…“. – typisch deutsch übrigens.

    Die Menschen sind nicht NUR so, wie du sie beschreibst. Sie bepflanzen auch Baumscheiben, trennen Müll, wehren sich gegen A100 und „Mediaspree“, stehen sich Monate lang die Beine in den Bauch in nicht rentierlichen, aber sehr kreativen Läden, leben vegan – oder verkaufen ihr Haus NICHT an die Heuschrecken…

    Bzw. an das Not leidenden Kapital! Auch was du dazu sagst, unterschreibe ich und hab es selbst oft genug ganz ähnlich ausgedrückt. Es geht nicht nur um „die Reichen“, sondern auch um viele Bestände des Mittelstands. Und natürlich kannst du den Blick auf die Prozente beim Tagesgeld mit einigem Recht als Ausdruck derselben Gier beschreiben, die auch den Investmentbanker treibt.

    Wahr ist aber auch, dass sich die „Gier“ im Fall des Kleinsparers meist auf die Absicherung gegen mögliche Not in der Zukunft richtet (Vorsorge), wogegen die Gier der Zocker und Geld-Macht-Gierigen eher als sozial- und umweltschädliches Suchtverhalten zu bewerten ist. Und beides ist durch die Politik regelbar.

    „Ohne Veränderung in den Köpfen ist das alles Müll“, schreibst du. Richtig. Und es verändert sich dann etwas, wenn es den Leuten zunehmend stinkt – ODER wenn sie neue Möglichkeiten erkennen, wie sie besser leben könnten.

    Das Internet ist im lokalen Nahraum einfach noch nie „so richtig“ gelandet. Das hat viele interessante Gründe, die ich auch in der eigenen Person vorfinde. (Sonst hätte ich lange schon meine angedachte „virtuelle Hausversammlung“ gestartet!). Aber vielleicht gelingt es ja, mittels der „sozialen“ Vernetzung eine neue lebbare Alternative zur bisherigen vereinzelten Anonymität zu leben – inkl. der Entwickelung einer neuen Kultur von Privatheit.

    Ob vorhandene lokale Strukturen Basis sein können, weiß ich nicht, schaue aber gerne mal wieder hin. Überhaupt hab‘ ich keine fertigen Rezepte, sondern will nur dazu anregen, mal in diese Richtung zu denken: Was kann uns Vernetzung im Nahraum nützen?

    Dein Vertrauen in die Kontinuität der Lebenmittelströme ist übrigens nicht mal bei der Bundesregierung vorhanden: die empfiehlt auf offiziellen Seiten einen Vorrat für zwei Wochen. :-)

    Sehr inspirierend, dieses Gespräch!

  15. „Auch stadtteilpolitische Aktivitäten könnten über das LSN organisiert werden.“
    Lokales soziales Netz, Politik? Gabs da nicht schon mal was? Genau! Der Stammtisch! :-) Sorry.

    Bei dem was Du schreibst musste ich sofort an die Pin-Bretter in Supermärkten und Unis denken. Das kommt dem schon recht nahe (klar „online“ könnte dem eine neue Qalität verleihen). Übrigens bietet Ebay mit seinen Kleinanzeigen (http://kleinanzeigen.ebay.de) auch was in der Richtung.

  16. @Thorsten:

    nein, das ist bei weitem nicht „was in der Richtung“, und auch ein Kleinanzeigenbrett im Supermarkt ist nicht ansatztweise das, was ein LSN leisten könnte.

    Es ginge ja nicht darum, einmalig irgend etwas nachzufragen, sondern darum, sich nachhaltig zu vernetzen. Mit diversen Interessen, mit einem entsprechenden Profil, das auf Wunsch auch „Verbundene“ anzeigt – und und und.

    Der allerwichtigste Aspekt, durch den die Nutzung eines SLNs (über die Kreise der paar „üblichen Verdächtigen“ SocialMedia-User im Kiez hinaus) überhaupt erst ermöglicht würde, ist das zu schaffende VERTRAUEN. Es müssten sich vertrauenswürdige Vereine, Initiativen und Institutionen der Sache annehmen und IHRE eigene Kommunikation auch im SLN verankern – und sie müssten die, die sie kennen, „verifinzieren“.

    Vielleicht ist die Zeit noch länger nicht reif und 2014 ist zu kurz gegriffen. Aber ich denke, dass dieses weitgehend anonyme, mit hohem Einzelkonsum verbundene Städter-Leben (immer mehr Single-Haushalte…), das sich gegenüber der konkreten Umgebung die volle Ignoranz leisten kann, nicht unbedingt das Modell einer nachhaltigen Zukunft mit weniger Ressourcen und mehr Hilfsbedürftigen sein kann.

    Das Bild von den Igeln, die einander nicht so nahe kommen können/wollen, weil sie sich sonst verhaken/sticheln, passt m.E. gut aufs Lokale. Es gibt z.B. viele, die sich durchaus gelegentlich mal in verschiedenster Freiwilligenarbeit engagieren würden – aber eben nur punktuell, nicht gleich mit einer Verpflichtung für die Zukunft. Das ist ein Potenzial, das so ein LSN erschließen könnte.

  17. Das Versprechen einer schnelleren und besseren Allokation sozialer Zuwendung, welches soziale Netze zu geben scheinen, ist sicherlich sehr verlockend in einer Welt, in der Problemlösung durch Erweiterung des Horizontes (Stichworte: Wachstum, Globalisierung, Vernetzung) in Mode gekommen ist, hakt aber m.E. exakt dort, wo auch das Versprechen der schnelleren und besseren Allokation der Produktionsfaktoren (Stichworte: Deregulierung, freier Handel) hakt: Information kann Handeln erleichtern, anreizen – aber nicht ersetzen.

    Da, wo Motive, Bereitschaft und Fähigkeit zum Handeln fehlen, helfen letztlich auch keine Anreize zum Handeln (siehe etwa die grandiosen Erfolge der Arbeitsmarktpolitk oder der Entwicklungshilfe)

    Vielleicht sehen die obigen Beispiele auch so aus:

    „Silvia C. übt seit ihrem schweren Unfall das Gehen und denkt beim Blick aus dem Fenster: Tolles Wetter, genau richtig fürs Draußen-Üben. Gedacht, getan: “18 Uhr Reha-Gehen-Treff auf dem Boxi – wer kommt?” tippt sie in ihre Statuszeile. Die Meldung ist für Anwohner/innen und Besucher im Umkreis von einem Kilometer lesbar, zudem von allen, die über das Interesse „Reha-Gehen“ mit ihr vernetzt sind. Auch auf den thematisch sortierten schwarzen Brettern taucht ihr Anliegen auf – und siehe da: Fünf Leute melden sich, doch drei davon kennt Silvia schon, die sind leider viel zu schnell für ihre kaputten Beine, einer ist neu, braucht aber eine Hilfe, um zum Boxi zu kommen, und ein Tourist ist auch dabei, der den Vorschlag per Handy mitbekommen hat und wohl eher nach einer Übernachtungsmöglichkeit für umsonst und mit Anschluß sucht.

    Bernd L. ist Fan von gebackenen Bohnen und zeigt gerne, wie man aus einer Dose mit ihnen und ein paar wohlschmeckenden Bratwürsten eine tolle Schlemmer-Pfanne macht. “Suche Küche mit Essgelegenheit für 3-stündigen Kochworkshop mit Baked Beans” tippt er ins LSN (=lokales soziales Netz). Es meldet sich Birgit, die eine große Küche hat, aber meist keinen Bock, darin alleine zu kochen – seit ihrer Trennung ist ihr die Wohnung eh zu groß. Leider kann sie Fleischgeruch in ihrer Wohnung nicht gut ertragen, ebenso wie ihr die übliche Besatzung des Sportler-Imbiss nicht zu ihrer Einrichtung passen will, welche bereits ihr Interesse angemeldet hat und sogar für ausreichend Bier sorgen will,…

    Anna F. ist frisch zugezogene Altenpflegerin und seit wenigen Tagen bei einer Friedrichshainer Sozialstation in der ambulanten Pflege beschäftigt. An diesem Freitag ist sie bei Frau K., die mit ihren 75 Jahren kaum mehr laufen kann und dazu extrem vergesslich ist, dennoch aber nicht einmal die Pflegestufe 1 bekam, weil sie die Gutachterin vom MDK so freundlich mit Handschlag begrüßt hat. “Schauen Sie mal, was ich da entdeckt habe! Der junge Mann, der neulich wegen des Telefons da war, hat mir gesagt, daß er mir dabei weiter helfen kann”, sagt Frau K., während sie aus ihrem Regal ein altes Fotoalbum heraus zieht. Anna schaut ihr über die Schulter: “Wer kennt meine Eltern?” steht da unter einem Foto eines kleinen Mädchens. “Ja, wie? Sie lassen einfach jeden in die Wohnung, der sagt, er käme wegen ihres Telefons?” fragt Anna halbwegs entsetzt. “Aber nicht doch, Kindchen! Er sagte doch, er kenne meinen Enkel, für den habe er auch schon einen viel besseren Vertrag gemacht. Nicht einfach irgendwen!”

    Dennoch bleibt natürlich der positive Gedanke einer Utopie – allerdings womöglich einer zu einseitig technischen Utopie, welche ja bekanntlich nur dann gut funktioniert, wenn von hinderlichen Details ausreichend großzügig abgesehen wird. Wer mag, kann in Archiven (die womöglich aber nicht im Internet zugänglich sind) über die vielen Segnungen der Atomkraft, wie sie in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gehandelt wurden, nachlesen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche sozialen Tücken auf Prognosen, Hoffnungen oder Utopien lauern, die sich einseitig eines technischen Hebels (damals: die billige Energie aus dem Atom) bedienen.

    Damit will ich jedoch (daß mich nur ja keiner steinigt oder aus seiner Mailing- oder Friendsliste löscht deswegen!) nicht grundsätzlich leugnen, daß sich soziale Netze nicht doch als hilfreich erweisen können, etwa um jene Menschen zusammen zu bringen, die zusammen gebracht werden wollen sowie die dafür notwendigen Fähigkeiten (körperlich, geistig, finanziell) besitzen. Nur frage ich mich, ob eine andere Art des Zuganges zueinander nicht auch eine (andere oder zusätzliche) Selektivität mit sich bringen wird, welche die vorhandenen (Einkommen, Status, Ethnien, Gesundheit, Alter, Bildung) kaum außer Kraft setzen kann.

  18. @Susanne: danke für deine Version der Geschichten! :-) Ehrlich: auch die finde ich keineswegs abseitig, beschreiben sie doch auch derzeit schon praktizierte Tauschbeziehungen. Der Tourist in deinem Beispiel Nr.1 (und auch Birgit aus 2) ist ganz typisch für die „doppelte Motivation“ vieler Anbieter in Tauschringen: ja, man bietet oder sucht etwas, will aber auch einfach nur Kontakt…

    Gut so. Auch den „zu Schnellen“ eine zweite Chance zu geben, ist BESSER, als wenn gar niemand zur Verfügung stünde, wenn man mal raus will.

    Anna F. in Beispiel 3 dürfte Probleme haben, überhaupt in irgend einer Weise online zu agieren. Mit und ohne LSN sind alte Menschen typische Opfer von Haustür-Betrügern. Shit happens, böse ist das!

    Unter „Utopie“ hab ich mir übrigens früher immer was ganz Gewaltiges, Grundstürzendes und Unglaubliches vorgestellt. Die bloße Anwendung seit Jahren bekannter Kommunikationstechnik (an deren Nutzung sich immer mehr Menschen in großer Geschwindigkeit gewöhnen) auf den physischen Nahraum scheint mir das große Wort nicht zu verdienen.

    Aber doch: „grundstürzend“ wäre es schon in gewisser Weise. Wenn ich beim Renovieren beschließe, die vier Regalbretter doch noch abzuschleifen, würde ich nicht beim Baumarkt nach dem passenden Maschinchen suchen, sondern das Tag „Werkzeugmaschinen“ auf 200 Meter Umkreis sichten… oder wüsste vom letzten Mal, dass Olaf drei Häuser weiter einen Schwingschleifer hat.

    Die demnächst anfallenden viel zu vielen Topinambur aus dem Garten könnte ich auch im LSN anbieten, fällt mir da ein. „Zum selbst ausgraben“ natürlich, dafür kostenlos. Welcher Ethnie die Leute angehören, wär mir da egal.. :-)

  19. […] soziale Netze? Erstellt am 12 Oktober 2011 von Thomas Pleil Claudia Klinger hat eine spannende Diskussion angestoßen. Sie meint, es wäre doch eine tolle Sache, wenn es […]

  20. Als regional orientiertes Medium sorgt das Portal http://www.treffpunkt-regional.com, welches von ausgebildeten Journalisten betrieben wird, mit seiner Rubrik Soziale Projekte, die zum Oktober 2011 aktiv ist, für eine Plattform regionaler Ehrenamtstätiger (Feuerwehr, THW, Kinderbetreuung, Seniorenhilsdienste) … Über eine rege Beteiligung freuen wir uns sehr … ;)

  21. Die Idee finde ich super und ich würde ein entsprechendes Netzwerk auch nutzen.

    Die Finanzierung könnte ähnlich wie bei Wikipedia ablaufen. Das Projekt läuft seit Jahren ohne Werbung uns scheint sich dennoch finanzieren zu können.

  22. Ein Netz für’s reale Leben? Warum nicht Claudia. Ich finde es ist auch eine Chance der „Altersisolation“ zu entgehen. Eine unserer Kundinnen (86Jahre, verwitwet) sagte neulich zu meinem Mann: „Das Internet ist das Beste, was mir je passieren konnte.“ Den Einstieg wagte sie mit unserer Hilfe, nachdem sie das 80ste Lebensjahr bereits überschritten hatte. Sie tauscht sich über ihr Hobby im Netz aus und veabredet sich dort mit anderen rüstigen Gleichgesinnten für das „reale“ Leben. Mir gestand sie neulich, sie habe wieder Schmetterlinge im Bauch. Ist das nicht schön? Mir macht’s richtig Spaß unseren „Grufties“ das Netz nahe zu bringen und sie miteinander zu vernetzen.

    Was mich privat und beruflich betrifft, so haben wir für unseren Stadtteil auf Facebook einen „Marktplatz“ gegründet. Wir kommen in’s Gespräch und es entwickeln sich neben neuen Kontakten auch Geschäfte für uns alle. Die Kommunikation ist dort oberflächlicher als auf einem Blog. Dafür treffen wir uns „real“ bei unseren Stadtteilfesten vor Ort.
    Ich finde deinen Anstoß hier sehr interessant, ebenso den neuesten in deinem „digital diary“. Viel geht mir hierzu im Kopf herum.

  23. @Christa: danke für die interessante Info! Schön, dass auch 80plus mehr und mehr den Weg ins Netz findet – und toll, dass es Menschen wie dich gibt, die dabei helfen.

    So ein „Web zur gegenseitigen Hilfe“, wie es mir vorschwebt, ist vielleicht bei Facebook falsch: zu abhängig vom USA-Konzern, zu komplex für etliche, die sich vielleicht fürchten, was Falsches zu klicken.

    Eigentlich sollte die öffentliche Hand bzw. soziale Träger da initiativ werden – jedenfalls sollte so ein Web nicht dem Wachstums- und Rendite-Zwang unterworfe sein!

  24. Ich sehe das ähnlich. Facebook ist auch nicht unbedingt mein Medium, obwohl es für unser kleines Unternehmen eine gute Plattform ist – eben durch diesen, nicht für jedermann öffentlichen Marktplatz. Der „virtuelle“ Marktplatz steht in keinem Konkurrenzverhältnis zu unserem kleinen „realen“ Wochenmarkt. Die beiden Märkte ergänzen sich mit ihren unterschiedlichen Kommunikationsweisen.
    Gleiches gilt, so denke ich, auch für das, was dir vorschwebt. „Ein Web zur gegenseitigen Hilfe“. Soziale Träger und auch viele Menschen in ihr, dabei habe ich meine Kirchengemeinde im Blick, tun sich schwer damit, das Internet unverkrampft auf sein Potential auszutesten. Internet im Alltag ist praktisch, aber für zwischenmenschliche Dinge ungeeignet. Dies ist immer noch die weitläufige Meinung. Zumindest in meinem Umfeld.

  25. […] einzige) Berliner Web Matecloud in den nächsten Tagen – irgendwie scheint es genau das zu sein, was mir fehlt: Ein Web, bei dem es darum geht, auch offline Interessen zu teilen und ähnlich Interessierte […]