Diese Artikel-Serie will Interessierten und Einsteigern vermitteln, was es mit dem noch immer vielen unverständlichen 140-Zeichen-Tool „Twitter“ auf sich hat. Lies auch:
Vom Raum zum Schwarm – Teil 2
Obama tut es, Blogger tun es, immer mehr Freunde und Bekannte tun es: die Kommunikation per 140 Zeichen, die man über Twitter in die Welt „zwitschert“, ist die erfolgreichste Neuerung im Internet seit Etablierung der Blogs. Einfacher und schneller als bloggen und mailen, zieht der Dienst immer mehr „User“ in seinen Bann, wodurch auch die Frage nach dem Sinn der Sache immer neue und vielfältigere Antworten findet.
Vom Irrtum der Einsteiger
Kommt man als Ahnungsloser auf Twitter, um mal zu schauen, was es damit auf sich hat, sieht man nichts als den kurzen Eingabeschlitz und die Frage „What are you doing?“.
Die Frage soll Menschen auf die Sprünge helfen, die noch nicht wissen, was mit den grade mal 140 Zeichen anfangen, doch trägt sie mit Sicherheit dazu bei, dass viele gestandene Erwachsene zögern, bei diesem neuen „Spiel“ mitzumachen:
„Trinke gerade den 3.Espresso“,
„Moin, ihr Süßen! Netzteil aus Taiwan angekommen und passt perfekt. „
Tja, wen bittschön interessiert denn das? Ist derlei „Gezwitscher“ nicht der Gipfel hypertrophierter Egomania, die da meint, das Ausfallen eines Haares beim morgendlichen Kämmen sei schon eine Nachricht für die Welt?
IRRTUM!!! Das nahe liegende Missverständnis ergibt sich aus dem, was wir „im Internet“ bereits erlebt haben, bzw. als Umfeld dieses Erlebens gewohnt sind: Dass nämlich alle Kommunikation in einem (virtuellen) RAUM statt findet, in dem jedes Ereignis zumindest potenziell von ALLEN wahrgenommen werden kann, die den Raum teilen. Eine Website kann von überall aus per Adresseingabe erreicht werden – also nannte man das Netz in der Urzeit des Webs gerne „Cyberspace“. Da der welt-weite Raum des Webs bald als zu groß erschien, um heimelige Gefühle und Gruppenkommunikation zu gestatten, bildeten sich schnell kleinere „Räume“: Die Erfolgsgeschichte der Foren und Chats nahm ihren Lauf, und heute bildet sich unterhalb interessanter Blog-Artikels schnell ein „Gesprächssalon“ der Kommentierenden.
All diesen RÄUMEN ist gemeinsam: jeder, der ihn betritt, teilt das Erleben der Anderen, die im Raum sind – und selbstverständlich beeinflusst dieses implizite Wissen massiv die Art, wie wir in solchen Räumen kommunizieren. Zum Beispiel, indem es als komplett überflüssig empfunden wird, eine Information, die ein anderer Gesprächsteilnehmer eingebracht hat, einfach zu wiederholen.
Im Schwarm ist alles anders
Wer nun bei Twitter einsteigt, merkt schnell: Es hat keinen Sinn, auf die „Wand“ (Seite „Everyone“) zu schauen, auf der die Botschaften all der vielen Millionen weltweiter User landen. Chinesische Zeichen, unverständliche Satzfetzen, ein Sprachengewirr ohne Sinnzusammenhang lässt erstmal ratlos, was das wohl alles bedeuten soll.
Erst wenn man ein paar anderen Twitterern „folgt“, ergibt sich die erste Anmutung potenziell sinnvollen Kommunikationsgeschehens: Auf einer eigenen Twitter-Seite (home) werden mir ausschließlich die Botschaften (Tweets) derjenigen angezeigt, die ich abonniert habe – und meine eigenen, klar.
Das heißt allerdings nicht, dass nun auch alle, die ich jetzt lesen kann, ihrerseits meine Botschaften mitbekommen: Nur diejenigen, die auch mir folgen (= meinen Twitter-Stream abonniert haben), können lesen, was ich sage.
Was hier statt findet, ist keine Raum-Kommunikation (einer an alle bzw. alle an alle), sondern eine Schwarm-Kommunikation: einer an einige andere, bzw. alle an jeweils andere „Folgende“.
Anders als es die schnelle Evolution der technischen Mittel denken lässt, braucht der Mensch ZEIT, um sich an diese grundstürzend andere Kommunikationsweise zu gewöhnen. Es dauert, bis man das „Raumgefühl“ verliert und ein Schwarmgefühl entwickelt – und solange wird man Twitter und ähnlich funktionierende Tools nicht als sinnvoll, geschweige denn angenehm erleben.
Re-twittern ist gut!
Lässt man sich aber experimentierend darauf ein und beginnt, einfach den eigenen Interessen entsprechend zu twittern (z.B. erstmal durch das Posten von Titel / URL neuer Blog-Artikel und indem man Menschen folgt, die ähnliche Interessen haben), bekommt man schnell mit, wie unglaublich WIRKUNGSVOLL die Schwarmkommunikation sein kann – im Grunde kennen wir es ja von den Vogelschwärmen, die genau auf diese Weise perfekt interagieren.
Man beginnt also, sich dem Schwarm entsprechend sinnvoll zu verhalten und interessante Botschaften „weiter zu zwitschern“ (= re-twittern, re-tweeting). Denn nur dann können auch alle, die MIR folgen, die von mir für wichtig genug erachtete Info ebenfalls lesen. Genau wie auf Blogs gehört es dabei zum guten Ton, die Quelle zu benennen – z.B. durch ein Voranstellen oder Anhängen von „RT @quell-Username“ oder „via @quell-Username„. Eine von vielen als wichtig empfundene Botschaft kann so in rasanter Geschwindigkeit die Aufmerksamkeit „aller Welt“ bekommen – weil viele sie an ihr jeweiliges „Gefolge“ weiter geben. Für Webseiten, die so bekannt gemacht werden, kann das im Extremfall auch mal den Absturz bedeuten: wenn nämlich allzu viele gleichzeitig wissen wollen, was es da zu lesen gibt.
FAZIT: In einer Welt, in der sehr viel von den Bewertungen abhängt, die sich betreffs einer Angelegenheit bei der Mehrheit der aktiven Bevölkerung durchsetzt, ist die mögliche Wirkungsweise eines Tools wie Twitter im Moment kaum zu überschätzen. Wir dürfen gespannt sein, was sich daraus alles ergeben wird.
Wer mag, kann mir auf Twitter folgen.
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Lies auch: Vom Raum zum Schwarm – Teil 2
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